Sündenböcke, junge Wölfe und ein verkohlter Zwetschgenkuchen

Sündenböcke, junge Wölfe und ein verkohlter Zwetschgenkuchen

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25.08.2016

Schreck lass nach: Bei Wernigerode im Harz kollidiert ein Regionalzug mit einer Rinderherde. 13 Tiere kommen um, der Zug entgleist. Es wird spekuliert, Wölfe könnten die Rinder auf die Schienen getrieben haben. Und bei Neuhaus im Solling brechen mitten in der Nacht 49 junge Hengste aus, galoppieren über eine Bundesstraße, demolieren Autos und Zäune, verschwinden im Wald. „Hinter vorgehaltener Hand“, so Claudia Ehrenstein in der WELT, wird die Vermutung geäußert, es seien Wölfe gewesen, die die Pferde in Panik versetzt hätten.

Wer sich da „die Hand vor den Mund hält“, der tut gut daran. Er ist ein Gerüchtekoch, nichts sonst. Und von der WELT dachte ich mal, das sei ein seriöses Blatt.

Nichts weist darauf hin, dass Wölfe an diesen schlimmen Ereignissen beteiligt waren. In beiden Gebieten gibt es keinerlei Nachweise von Wölfen. So war das auch bei Meißen vor zwei Jahren, als man einen Unfall mit neun toten Pferden und zwei verletzten Autofahrern irgendwelchen Wölfen anlasten wollte.

Am Dreiländereck Brandenburg – Sachsen – Sachsen-Anhalt, wo das Annaburger Rudel zu Hause ist, beklagt sich die Jägerschaft neuerdings über Rotwildrudel von hundert und mehr Tieren, die schon am helllichten Tag auf den Getreideflächen stehen und große Schäden verursachen: Das sei den Wölfen zuzuschreiben. Aber seit wann produzieren Wölfe Rotwild? Wo kommt das Wild denn plötzlich her? Will man uns etwa weismachen, die Wölfe hätten die Tiere aus der Ferne zusammengetrieben, dass sie jetzt in großen Herden auf den Feldern stehen? Die Wahrheit ist eine andere: Die Jäger werden des vielen Wildes nicht Herr. Wenn sie es denn überhaupt wollen.

Wenn hier in Oberammergau ein Radl umfällt – das könnte doch ein Wolf gewesen sein, oder? Weiß man’s? Wölfe gibt’s hier weit und breit keine – aber kann jemand das Gegenteil beweisen? Darauf kommt’s den Gerüchteköchen nicht an. Es gilt, den Wolf zum Sündenbock zu machen.

Sind Wölfe also harmlos? Sind sie bloß Projektionsflächen für Jäger und Tierhalter, die ihre eigenen Probleme nicht in den Griff bekommen und den Wölfen deshalb die Schuld in die Schuhe schieben? Nein, mitnichten. Keine Frage – Wölfe schaffen Konflikte. Wir haben genug damit zu tun, diese Konflikte zu lösen. Allerdings: Schauermärchen und Spekulationen „hinter vorgehaltener Hand“ zu verbreiten hilft uns nicht weiter. Besser ist es, man hält, wo nichts bewiesen ist, einfach die Klappe.

Jungwölfe in Österreich - endlich!

Jungwölfe in Österreich – endlich!

Gottlob habe ich auch andere, erfreuliche Nachrichten. Erstmals seit über hundert Jahren gibt es Wolfsnachwuchs in Österreich. Über den ersten Wolfsnachwuchs in Ungarn habe ich schon berichtet.

Und bereits zum fünften Mal zieht das Calandarudel in der Schweiz Welpen auf.

Und noch etwas rundum Erfreuliches: Axel Gomilles Buch „Deutschlands Wilde Wölfe“. Ich fing an zu blättern und vergaß alles um mich rum, bis mir Brandgeruch aus der Küche signalisierte: Das war’s mit dem Zwetschgenkuchen.

Ihr

Unterschrift UW

 

 

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