Wotschikowsky zur Kritik von WÖLFE Fakten und zu Facebook-Einträgen

Wotschikowsky zur Kritik von WÖLFE Fakten und zu Facebook-Einträgen

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31.03.2016

Kern der Kritik von Wölfe Fakten sind Zweifel an den Feststellungen des Wolfsmonitorings. Es gebe „keinen einzigen Beweis für diese angeblichen Nahbegegnungen“, und deshalb auch nicht die von mir behauptete „untypisch geringe Distanz zu Menschen.“ Ich hätte die Fakten vor Ort überprüfen sollen.

Zunächst ein Blick zurück: Nahbegegnungen des Munsterrudels mit Menschen vor einem Jahr (!) waren überhaupt der Anlass, Tiere dieses Rudels zu besendern und zwar als Voraussetzung einer Vergrämung. Die Besenderung gelang im Juni 2015 mit MT6 (einem Jährlingsrüden) und FT10 (einer Jährlingsfähe). Die Vergrämung jedoch, die nach meinem (aber vielleicht nur meinem) Verständnis unmittelbar danach hätte unternommen werden müssen, unterblieb.

Nach der Besenderung verhielten sich die Munsterwölfe bis Jahresende unauffällig. Manche interpretierten dies als Folge der Besenderung: Demnach hätte der Akt des Fangens und Besenderns die Wölfe in Munster so sehr beeindruckt, dass sie sich nun von Menschen fernhielten. Ich halte das für eine zumindest mutige, wenn nicht voreilige Folgerung. Sie lässt sich weder beweisen noch widerlegen.

Zu Beginn des Jahres 2016 begann dann MT6, durch Nahbegegnungen mit Menschen aufzufallen, manche davon sogar in Ortschaften. Die Beobachtungen dazu sind glaubhaft. Sie passen zu dem Raumverhalten, das MT6 gezeigt hat, als sein GPS-Sender noch funktionierte. Dieser ist jedoch im Dezember 2015 ausgefallen. Vom Wolfsbüro habe ich dies nochmals bestätigt bekommen, was ich vorher nicht nur aus Medienberichten, sondern auch durch gute Kontakte zu Leuten vor Ort bereits wusste. Für mich steht fest: MT6 ist habituiert und er benimmt sich häufig „distanzlos“ gegenüber Menschen.

Wölfe Fakten vermisst dafür „Beweise.“ Ja – es gibt zwar Foto- und Filmaufnahmen, aber manche lassen auch andere Interpretationen zu. Wir haben es nicht immer mit Beweisen, sondern oft nur mit Indizien zu tun. Im Wildtiermanagement ist das sehr häufig der Fall, man muss nur fachgerecht damit umgehen. Im Fall MT6 ist die Indizienkette schlüssig genug. Die Ereignisse wurden von den Wolfsberatern vor Ort überprüft. Der Befund, dass MT6 auffallend wenig Scheu an den Tag legt, wurde nicht von Wolfsgegnern getroffen oder Leuten, die für eine rasche „Entnahme“ von MT6 plädieren, sondern vom Wolfsmanagement, dem man eher eine zu große als eine zu geringe Sympathie für Wölfe vorhält.

Wölfe Fakten moniert, dass ich diese Nahbegegnungen nicht überprüft habe. Mir ist rätselhaft, wie ich das hätte machen sollen. Ich wüsste auch gerne, ob und wie Wölfe Fakten das gemacht hat, um zu dem Schluss zu kommen, es hätte keine gegeben.

Die Meinungsverschiedenheiten um die Namensgebung „Kurti“ sind nicht weiter von Bedeutung, aber die Begründung hat mich doch amüsiert. Seit wann macht man denn ein Individuum mit dem Namen des Bruders „kenntlich?“ Der Wanderwolf im Frühjahr 2015, ein Bruder von MT6, hieß angeblich „Kurt“ (mir ist das seinerzeit entgangen). Jetzt haben wir jedenfalls zwei Kurts aus derselben Familie. Und dass Wolf auf Türkisch Kurt heißt, ergibt für mich ebenfalls keinen Reim. Was hat MT6 alias Kurti mit der Türkei zu tun?

Ich nehme die Kritik von Wölfe Fakten an meiner unglücklich formulierten Titelzeile gerne an. Die mit ins Feld geführten Ansichten und Begründungen allerdings, warum das Verhalten von MT6 anscheinend keinen Anlass zum Nachdenken oder gar Handeln bietet, geben mir doch zu denken. Natürlich kann man an den Feststellungen des Monitorings und der Einschätzung des Verhaltens von MT6 zweifeln – aber dann sollte man diese Zweifel überzeugend begründen. Den „Denkanstoß“ jedoch, den mir Wölfe Fakten anbietet, weise ich mit aller Entschiedenheit zurück. Beobachtungen sind vorurteilsfrei aufzunehmen und kritisch zu überprüfen – aber nicht nach Gusto in Frage zu stellen.

Das sage ich auch Christian Berge, der sich zur politischen Orientierung der Frau auf Facebook gar nicht einkriegen kann (und sich dann auch noch wundert, dass die Familie nicht mit ihm reden will), und J.-U. P, der ebenfalls in dieses Horn der politischen Diffamierung stößt.

 

Shitstorm in Facebook

Und damit sind wir bei den Facebook-Einträgen, die Wölfe Fakten mit seiner Kritik ausgelöst hat. Manches davon bedenkenswert, einiges bedenklich:

Der schon erwähnte Christian Berge – er bestreitet über die Hälfte der Facebookszene zu diesem Fall – gibt zum Besten, ich sei persönlich beleidigt, weil das Umweltministerium mich nicht um Rat gefragt habe, ich feuere „eindeutig aus persönlichen und nicht aus sachlichen Gründen!“ Das hat er bestimmt gründlich recherchiert. Dann teilt er seine Schulnoten mit – all das interessiert eigentlich keine Sau (seine Worte, nicht meine).

Ferner geht Berge davon aus, dass MT6 „bereits vergrämt wurde.“ MT6 ist durch Karlsson nicht vergrämt worden, weil dieser gar nicht nahe genug an den Wolf heran gekommen ist, um ein Gummigeschoß abfeuern zu können (Pressemeldung). Die Situation ist also unverändert.

Aus anderen Einträgen kann man die Ansicht erkennen, MT6 sei doch genügend scheu, weil er vor Karlsson geflüchtet sei. Aber auch habituierte Tiere ergreifen die Flucht, wenn sie sich verfolgt fühlen. Karlsson soll die Ansicht vertreten haben, MT6 verhalte sich normal – das kann ohne weiteres an diesen drei Tagen so gewesen sein. Aber das war vorher anders und kann jederzeit wieder anders werden.

In dubio pro reo? Ist MT6 gefährlich?

Schließlich gibt es noch einige Einträge zur Gefährlichkeit von MT6: Mit Bezug auf den Bären „Bruno“ meldet sich Wölfe Fakten noch einmal mit dem Hinweis, ich vertrete den Gedanken, „dass man ein Tier erschießen muss (wenn es schon habituiert ist), bevor es aggressiv wird.“ Und weiter: „Ergo ist MT6 in seinen Augen schon habituiert, da er ja keine Scheu vor Menschen zeigt. Nur warum MT6 keine Scheu vor Menschen zeigt, ist anscheinend vollkommen nebensächlich.“ Meine Meinung dazu:

Selbstverständlich muss man ein habituiertes Tier erschießen, bevor es aggressiv wird – wenn keine Alternative gegeben ist. Im Fall „Bruno“ hat man eine Alternative – Fang mit Hilfe von finnischen Bärenhunden, die ihn stellen sollten – 14 Tage lang versucht, ohne Erfolg. Dann hat man ihn erschossen. Ich halte das bis heute für richtig, obwohl der Bär nie aggressiv geworden war. Hätte man warten sollen, bis er ein Unheil anrichtet? Dass MT6 habituiert ist, unterliegt keinem vernünftigen Zweifel. Und warum er keine Scheu vor Menschen zeigt, wäre für das künftige Management sicherlich von Bedeutung – wenn man es im Nachhinein herausfinden könnte! – nicht aber für den weiteren Umgang mit diesem Tier.

Jürgen Vogler hält meinen Ausdruck „tickende Zeitbombe“ für MT6 für unangebracht, und U.-J. P. wird da noch deutlicher. Mir ist sehr wohl bewusst, dass diese Sprache in den Kreisen der Wolfsfreunde nicht gut ankommt. Aber ich halte daran fest, dass habituierte Wölfe, noch dazu bei der Menschendichte in Deutschland, ein Gefahrenpotential darstellen. Das wird u.a. deutlich in dem Bericht von Mark McNay: Habituierung bildet den Einstieg in aggressive Begegnungen. Allerdings ist Habituierung allein nicht genug, um drastische Maßnahmen zu begründen. Denn bei uns, wo der Mensch so gut wie allgegenwärtig ist, werden Wölfe immer mehr oder weniger „habituiert“ (an Menschen gewöhnt) sein, ja sein müssen. Immer häufiger schleichen sich in die Diskussion relativierende Adjektive ein – „ein bisschen habituiert“, „stark habituiert“ u. dgl. – untrügliche Signale, dass ein Begriff nicht genau das ausdrückt, was wir sagen sollen („ein bisschen schwanger“ geht auch nicht). Wir werden uns, glaube ich, damit beschäftigen müssen.

Und schließlich stellt Wölfe Fakten noch die Frage: „Wäre der Wolf ein Mensch, würde vor Gericht der Satz in dubio pro reo gelten (im Zweifel für den Angeklagten). Warum hier nicht auch?“

Die Antwort ist einfach. Der Wolf ist kein Mensch. Im Zweifel geht nicht der Wolf vor, sondern der Mensch. „Die Sicherheit des Menschen,“ so heißt es in allen Wolfsmanagementplänen und Richtlinien, „steht an oberster Stelle.“ Daran ist nicht zu rütteln, da gibt es kein Wenn und Aber. Und das ist gut so – für die Wölfe.