Vom Wolf gebissen?

Vom Wolf gebissen?

166

29.11.2018

Darauf haben manche schon lange gewartet: Ein Mensch ist von einem Wolf angegriffen und gebissen worden. Wirklich? War es ein Wolf? Und war es ein Angriff? Es gibt keine Zeugen für den Vorfall, und die Analyse ist noch nicht abgeschlossen. Mit diesen Vorbehalten hier eine Einschätzung, zugegeben weit ab vom Geschehen.

Was ist passiert?

In Steinfeld, Samtgemeinde Bülstedt in Niedersachsen, ist ein Gemeindearbeiter damit beschäftigt, den Friedhofszaun zu reparieren. Am Boden hockend wird er von einem Wolf (glaubt er), der sich ihm unbemerkt von hinten genähert hat, in den Unterarm gebissen. Der Mann wehrt sich, indem er dem Tier mit einem Hammer auf die Pfote schlägt. Drei weitere Wölfe warten in der Nähe. Der gebissene Mann ist sich sicher, dass es Wölfe sind.

So hat BILD die Nachricht aufgemacht.

Mitarbeiter des Niedersächsischen Wolfsbüros stellen Proben für eine DNA-Analyse sicher. Sie werden mit Kurier zum Institut Senckenberg gebracht. Ergebnisse sind in Kürze zu erwarten.

Der Ort des Geschehens liegt nahe oder sogar im Territorium des Gnarrenburger Rudels. Das lässt sich auf der Website DBB-Wolf finden. Dort ist auch vermerkt, dass im Sommer sieben Welpen nachgewiesen worden sind.

Was spricht für Wolf, was für Hund?

Mein erster Gedanke ist: kein Wolf. Es wäre nach 300 Rudeljahren der erste Fall dieser Art – gegenüber tausenden Bissverletzungen an Menschen durch Hunde Jahr für Jahr! Die schlichte Wahrscheinlichkeit spricht für einen Hund. Es verletzt auch die Glaubwürdigkeit des gebissenen Arbeiters, 55 Jahre alt, in keiner Weise, wenn man bezweifelt, dass er einen Wolf von einem Hund unterscheiden kann. Das ist alles andere als einfach. So argumentiere ich auch, als ich von verschiedenen Medien um einen Kommentar gebeten werde (ja, ich hatte einen heftigen Tag gestern und heute).

Aber es kann auch ein Wolf gewesen sein. Wenn die DNA-Analyse einen Wolf ergibt, dann hier ein Erklärungsversuch:

Die Welpen, gerade etwa sieben Monate alt und im äußeren Erscheinungsbild jetzt kaum von erwachsenen Wölfen zu unterscheiden, gehen um diese Jahreszeit gerne mal eigene Wege. Sie sind neugierig, naiv und unerfahren, erscheinen auch mal in einem Dorf und schauen sich um. Sie führen nichts Böses im Schilde. Der geschilderte Vorfall war kein „Angriff,“ keine „Attacke,“ sondern eher ein Irrtum, ein Missverständnis. Der Wolf hat etwas ausprobiert – und gehörig auf die Pfoten bekommen. Er hat seine Erfahrung gemacht und ich bin sicher: Er wird künftig Abstand zu Menschen halten.

Mark McNay, der in Nordamerika neunzig kritische Begegnungen von Menschen mit Wölfen untersucht hat, berichtet von mehreren Fällen, die in dieses Schema passen – zum Beispiel, wie ein Jungwolf einem Camper, der sich im Freien zu einem Mittagsschlaf niedergelegt hat, das Kopfkissen stehlen will. Solche Vorkommnisse sind Teil des Lernprozesses junger Wölfe. Doch daraus entwickelt sich keine Angriffslust.

Kritisch kann es werden, wenn die Jungwölfe keine negativen, sondern positive Erfahrungen machen. Und das läuft über Futter. Etwas anderes, was attraktiv sein könnte, hat der Mensch ja nicht anzubieten. So erklärt man sich das Verhalten des einzigen (!) auf Menschen bezogenen Problemwolfes, den es bisher – in 300 Rudeljahren! – in Deutschland gegeben hat: MT6 in Munster, Niedersachsen.

Dass sich im Gebiet des Gnarrenburger Rudels Wölfe füttern ließen, ist nicht bekannt. Wenn es ein Wolf war, dann war er nicht futterkonditioniert, sondern schlicht naiv und neugierig. Dass weitere Geschwister ihm dabei zugesehen haben, ist durchaus möglich, sogar plausibel.

Fazit: Es kann ein Wolf gewesen sein. Aber der Vorfall war kein Angriff.

Die Frage, die unweigerlich gestellt wird, heißt: Was wäre geschehen, wenn sich der Wolf ein Kind als Ziel seiner Neugier ausgesucht hätte?

Meine Antwort: Das hätte übel ausgehen können. Wie mit einem Hund. Und Hunde haben wir zigmal mehr als Wölfe.

Ihr Ulrich Wotschikowsky