In der Löwenhöhle

In der Löwenhöhle

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27.10.2018

Ohne Worte: Auf der Titelseite der „Dolomiten.“

Ich war auf einiges gefasst, als ich zu einer Tagung des Club Alpino Italiano (C.A.I. – das ist der Italienische Alpenclub) nach Bozen eingeladen wurde. Es ging um Wolf und Bär. Gegen die Rückkehr der Wölfe wird kaum irgendwo eine derart scharfe Klinge geschlagen wie in Südtirol. Man muss nur die „Dolomiten“ aufschlagen, die auflagenstärkste Tageszeitung der Provinz: Fast täglich stößt man da auf aggressive Wolfsartikel und blutrünstige Bilder. Ich hatte früher mal ein relativ gutes Standing im Lande, wegen meiner Tätigkeit an der Jägerschule Hahnebaum und dem Rehforschungsprojekt gleichen Namens, das ich dort zehn Jahre lang geleitet habe. Zwischenzeitlich habe ich erfahren, dass man mich in gewissen Kreisen zur persona non grata erklärt hat – wegen zweier Interviews, die ich dem Fernsehen zum Thema Wolf gegeben hatte.

Es sind gerade mal ein halbes Dutzend Wölfe im Grenzbereich zu den Nachbarprovinzen Trento und Veneto, die Südtirol „unsicher“ machen. Wegen der starken landwirtschaftlichen Prägung des Landes mag man die Aufregung der Weidetierhalter allerdings durchaus verstehen. Freilich ist das Bild Südtirols schon lange nicht mehr geprägt von grasenden Kühen oder gar Schafen, sondern von landwirtschaftlichen Monokulturen. Seit 1926, also in nicht einmal hundert Jahren, hat das Land sage und schreibe ein Drittel seines Waldes an den Obst- und Weinanbau verloren (und natürlich auch an Schipisten). Die Weidetierhaltung dagegen droht zur Cash Cow für auswärtige Viehbesitzer zu verkommen. Ortsfremde sahnen die Weideprämien ab, indem sie den ortsansässigen Bauern die Flächen abpachten und eigenes Vieh auftreiben. Nun stoßen uns die Wölfe mit der Nase auf die strukturellen Probleme des Landes.

Das Podium am Schluss der Veranstaltung in Bozen (Foto Rienzner)

Diese Probleme darzulegen war die Erwartung an Leo Tiefenthaler. Dem Bauernverbandspräsidenten ist das nicht nur in seinem Referat, sondern auch bei der anschließenden Podiumsdiskussion überzeugend gelungen. Wenn anfangs auch viel die Rede war von „Entnahmen“ (in eine Handvoll Wölfe!), so verschob sich doch in der Schlussdiskussion das Gewicht immer mehr auf den Herdenschutz.

Mir scheint, dass unter vielen (bestimmt nicht allen) der etwa zweihundert Teilnehmer die Einsicht eingekehrt ist, dass die Lösung des „Wolfsproblems“ (und auch des „Bärenproblems“) nicht im Schießen (der Beutegreifer), sondern im Schützen (der Weidetiere) liegen muss. Mauro Fattor, der die Podiumsdiskussion leitete, hatte keine Mühe damit, er musste auch keinen einzigen aufgeregten Zwischenrufer beruhigen.

Zum Schluss waren alle zu einem Aperitiv eingeladen, mit Häppchen. Als ich die Dispute mit diversen Medienleuten hinter mir hatte, war das Buffet leer. Und ehe ich mich’s versah, war ich umringt von einem halben Dutzend Bauern. Grimmige Gesichter. Einer deutete an, was er von meinen Ausführungen hielt – fuhr sich mit der Handkante über die Gurgel. Ich besorgte mir rasch noch ein Glasl von dem frischen Weißwein, den würde ich gleich nötig haben, dachte ich.

Aber nein. Es wurde ein überaus anregendes Gespräch über moderne Landwirtschaft, über die Subventionen der EU, über eine Kulturlandschaft, die in Südtirol ebenso wie in Bayern oder sonstwo dahin geht. Über Wölfe redeten wir kaum. Der Halsabschneider war längst gegangen. uw