Vechta-Wölfin: Das Maß ist voll

Vechta-Wölfin: Das Maß ist voll

39

02.11.2015

Der Ärger mit der Wölfin bei Vechta will kein Ende nehmen. Von Dezember bis Februar gingen etwa 60 gerissene Schafe auf ihr Konto, inzwischen sind es etwa 80, und eines Nachts ließ sie sich in der Nähe des Waldkindergartens von Goldenstedt sehen, was allerlei dubiose Wolfsexperten auf den Plan rief. Zusammen mit den Wölfen auf dem Übungsplatz Munster hat die Vechta-Wölfin – sie ist immer noch allein – das Verdienst, die zuständigen Leute in Niedersachsen gehörig aufgemüdet zu haben.

Nun aber stellt diese Wölfin das Wolfsmanagement auf eine neue Probe, und die könnte ihr selber zum Verhängnis werden. Sie stellt weiterhin den Schafen nach. Das ist ihre Natur. Aber sie lässt sich dabei auch nicht durch Zäune stoppen, die höher und besser sind als es der Grundschutz der niedersächsischen Wolfsrichtlinie verlangt. Im Wiederholungsfall kann solch ein Wolf „entnommen“ werden. Das wäre das Todesurteil für die Vechtaer Wölfin. Die CDU hat einen entsprechenden Antrag gestellt. Der Wolf soll umgehend „entnommen“ werden.

Leidtragender ist Tino Barth, 46. Der Profischäfer hat etwa 200 Schafe in fünf Gruppen. Jede Gruppe ist durch einen Elektrozaun von 105 cm Höhe geschützt. Das ist 15 cm höher als es die Wolfsrichtlinie für den Grundschutz vorschreibt. Der Zaun ist unter 8.800 Volt Spannung. Das ist mehr als genug. Am 2.Oktober ist die Wölfin über diesen Zaun in eine Herde von halbjährigen Lämmern gesprungen. Auf der Strecke blieben vier tote und fünf verletzte Tiere.

Barth hat daraufhin vom Land 160 cm hohe Pfähle bekommen, die er in den Zaun integriert hat. An den Pfählen hat er Flatterband in 140 – 160 cm Höhe gespannt, wie es ihm vom Wolfsbüro Hannover empfohlen worden war. Dieses Flatterband (Litze) hat sich in Sachsen gegen einen springenden Wolf bereits bewährt. Am 26.Oktober ist die Wölfin erneut eingesprungen, diesmal in eine 23köpfige Moorschnuckenherde. Ein Schaf wurde getötet, drei wurden verletzt. Nun fragt sich Tino Barth, wie weit die Aufrüstung gegen diesen Wolf noch gehen soll. „Man kann seine Schafe nicht besser schützen!“ meint Frank Fass, einer der Wolfsberater des Landes, der die Angelegenheit besichtigte.

Was man nicht erfährt, weiß Knut Kucznik von der AG Herdenschutz. Im Kreis Vechta stehen viele Schafe von Hobbyschäfern ungeschützt herum. Hobbyschäfer erhalten für Präventionsmaßnahmen keine staatliche Unterstützung, weil der Staat den Standpunkt vertritt, dass die Allgemeinheit nicht für ein Hobby in Anspruch genommen werden kann. Viele  Hobbyschäfer melden die Verluste durch Wölfe gar nicht erst an. Deshalb tauchen diese Fälle in der Schadensstatistik des Landes nicht auf. Die Wölfin jedenfalls hat gelernt, dass Schafe leichte Beute sind, und sich ein Verhalten angewöhnt, das die CDU in ihrem Antrag zum Abschuss dieses Wolfes für „untypisch“ hält.

Was kann man einem Nutztierhalter zumuten …

Zurück zu Tino Barth. Warum stellt er seine 200 Schafe nicht zu einer einzigen großen Gruppe zusammen und gesellt zwei Herdenschutzhunde dazu? Das liegt daran, dass Barth seinen Lebensunterhalt nicht durch den Fleischverkauf verdient, sondern durch die Zucht seltener Rassen. Das erfordert Kleingruppen. Ein Sonderfall also. Barth hat sich trotzdem bereits zwei Hunde angeschafft. Aber ausgerechnet jene Gruppe, in die er die Hunde integrieren wollte, ist von der Wölfin heimgesucht worden und jetzt so aufgeregt, dass sie mit den ihr noch unbekannten Hunden nichts zu tun haben will. In eine andere seiner Schafgruppen hat er drei Esel gestellt, offensichtlich mit Erfolg; denn einen Angriff der Wölfin haben sie bereits abgewehrt. Was soll er sonst noch tun? Seine Schadens- und Aufwandssumme ist auf 20.000 Euro aufgelaufen, was den Betrag der de minimis Regelung der EU (maximal 15.000 Euro Schadensausgleich in einem Zeitraum von drei Jahren) längst übersteigt.

Tino Barth lässt nichts unversucht, seine Schafe zu schützen. Sogar mit Eseln.

Tino Barth lässt nichts unversucht, seine Schafe zu schützen. Sogar mit Eseln.

Die strengen Schutzbestimmungen für Wölfe sind eine hohe Hürde für den Fall, dass ein Wolf eliminiert werden soll. Gegenwärtig ist das gut so. Andererseits stellt sich die Frage, was man einem Nutztierhalter, der sich gegen Wölfe schützen will, an Eigenleistung zumuten kann. Es ist internationaler Konsens, dass die Erhaltung oder Rückkehr problematischer Wildtiere nicht auf dem Rücken einzelner geschehen darf. Der Fall Tino Barth ist ein exemplarischer Fall.

Barth ist alles andere als ein Wolfsgegner. Als ich ihn darauf hinweise, dass schon bald neue Wölfe nachrücken werden, wenn die Vechta-Wölfin eliminiert werden sollte, meint er: „Ich habe nichts dagegen, wenn sie sich an die Regeln halten!“ Mit Regeln meint er, dass sie seine Zäune respektieren sollen.

… und was den Wölfen?

Die genetische Analyse durch das Institut Senckenberg steht noch aus, aber nach Lage der Dinge kann man davon ausgehen, dass der Wölfin von Vechta beide Übergriffe auf die Schafe von Tino Barth im Oktober zuzuschreiben sind. Dann wäre sie Wiederholungstäter. Solch einen Wolf können wir nicht dulden. Das ist Konsens aller Bundesländer, die ihr Wolfsmanagement mit Plänen oder Richtlinien geregelt haben. Die Vechta-Wölfin wäre somit der erste und bisher einzige verhaltensauffällige Wolf, seit es in Deutschland wieder Wölfe gibt. Ich meine, der Fall gehört umgehend auf den Prüfstand.

Man muss die Frage auch umgekehrt stellen dürfen: Kann es der deutsch-westpolnischen Population – derzeit insgesamt etwa 700 Tiere – zugemutet werden, einen als „Problemtier“ identifizierten Wolf zu entnehmen? Sprich: zu schießen?

Ich meine ja. Sogar der strenge Schutz durch das EU-Recht sieht Ausnahmen vor. Für Tino Barth ist das Maß voll, und für die Vechta-Wölfin wohl auch. Dennoch: Das darf nicht zum Präzedenzfall werden. Das Wolfsmanagement muss sich etwas einfallen lassen, damit Schafe im Wolfsgebiet nicht länger ungeschützt herumstehen.

Unterschrift UW