Die Rückkehr der Wölfe – Grabenkämpfe statt Lösungssuche. Von Felix Knauer

Die Rückkehr der Wölfe – Grabenkämpfe statt Lösungssuche. Von Felix Knauer

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15.03.2018

Felix Knauer

Felix Knauer

Die Wölfe breiten sich in Deutschland und anderswo in Europa immer weiter aus, tauchen in Gebieten auf, in denen seit Jahrhunderten keine Rudel mehr vorkamen. Obwohl die vom Wolf verursachten Probleme eigentlich überall die gleichen sind (Wolf trifft auf Schaf, trifft auf Hirsch, trifft auf Reh), reagiert die Politik sehr unterschiedlich darauf. In Baden-Württemberg kann sich ein schwarzer Minister unter einem grünen Ministerpräsidenten überhaupt nicht vorstellen, dass Wölfe in Rudeln flächig die geeigneten Gebiete in seinem „Ländle“ besiedeln. In Bayern wettert seit Jahren schon die Politik (alles schwarz in schwarz) gegen den Wolf. Auch ein bayrischer Minister in Berlin, obwohl überhaupt nicht zuständig, hat den Widerstand gegen den Wolf zum Thema im letzten Wahlkampf gemacht.

Ganz anders in Sachsen. Obwohl seit Auftreten der Wölfe in Sachsen die politische Landschaft ebenfalls schwarz in schwarz war, legt Sachsen trotz mancher Schwierigkeiten ein Wolfsmanagement hin, das auch über Deutschlands Grenzen hinaus beispielhaft ist. Die deutsche Erfolgsstory Wolf hat zu einem beträchtlichen Teil mit dem lösungsorientierten Ansatz der Sachsen zu tun. Wohlgemerkt – auch in Sachsen kommt es zu Konflikten mit Wölfen. Entscheidend ist, wie dort damit umgegangen wird!

Warum aber ist der Widerstand in Süddeutschland so groß? Können die nicht lösungsorientiert? Schaut man sich die Rotwildverbreitung und Waldverteilung an, dann gibt es dort ziemlich viel Wald ohne Rotwild. In Bayern wird Rotwild auf gerade mal zwölf Prozent des Landes geduldet, in Baden-Württemberg gar nur auf vier. Der „große braune Rindenfresser“ wird im Süden nicht gern gesehen. Das spricht für mangelnde Lösungskompetenz. Aber ist es so einfach – oder steckt etwas anderes dahinter?

Seit ein paar Jahren lebe ich in Österreich. Dort wird noch viel stärker der Nutzen jeder Tierart hinterfragt. „Wozu brauchen wir die?“ Dahinter steht eine deutlich utilitaristisch geprägte Einstellung, besonders bei den Landnutzern. Gleichzeitig entsteht in den Städten eine starke Tierrechtsbewegung. Tierrechtler billigen Tieren gleiche oder ähnliche Rechte wie den Menschen zu, zumindest das Recht auf Leben. Fleischkonsum schließt sich da aus. Wenn Jäger und Almbauern gegen den Wolf wettern, stehen ihnen immer häufiger urbane Tierrechtler gegenüber, die diese Berufe oder Freizeitbeschäftigungen als solche für ethisch nicht vertretbar halten. Kompromisse sind da undenkbar. Das wird politisch ausgefochten bis aufs Messer. Die derzeitige Diskussion in Österreich über die Jagd auf gezüchtete Tiere („Kistlfasanen“) und über Jagdgatter ist nur die Spitze des Eisbergs.

In Deutschland ist die Diskussion vielschichtiger, nicht nur an Nutzen oder Rechten von Tieren orientiert. Vor allem das Lebensrecht jeder einheimischen Tierart (nicht das individuelle Recht auf Leben) wird immer wieder betont. Als ich in den 80er Jahren den Jagdschein in Bayern machte, war die vorherrschende Meinung unter den Jägern in meinem Umfeld, dass jede heimische Tierart ein Lebensrecht habe. Auch Fuchs und Habicht – mit Murren oft, aber trotzdem. Gut, die Zeiten waren einfach, niemand dachte an Braunbär, Luchs und Wolf, zumindest nicht im Alpenvorland.

Werden heute wolfsfreie Zonen gefordert, steht meist ein utilitaristisch geprägtes Weltbild dahinter. Bauern fürchten um ihr Vieh, die Jäger um „ihr“ Wild. Die Naturschützer dagegen ziehen sich auf die gesetzlichen Vorgaben zurück: Die EU-Mitgliedsstaaten hätten den Wolf in einen günstigen Erhaltungszustand zu bringen. Das bedeute eine gewisse Zahl, aber vor allem auch die gesamte Besiedlung der natürlichen Lebensräume sowie eine langfristig positive Entwicklung. Da muss sicher nicht jedes potenzielle Wolfsterritorium besetzt sein. Aber Platz für großflächige Freizonen gibt es in diesem Konzept nicht. Legale Möglichkeiten für Abschüsse in besonderen Fällen stehen zur Verfügung, aber die halten die Populationsentwicklung nicht auf. Das Recht ist auf der Seite des Wolfes.

Diskutieren heute Bauern und/oder Jäger auf der einen Seite und Naturschützer auf der anderen Seite über den Wolf, sind die Naturschützer nur am Beschwichtigen: Schaut nach Sachsen, da gehen die Abschusszahlen nicht zurück! Herdenschutz funktioniert, der Staat zahlt den Großteil der Investitionen! Trotzdem kommen die beiden Seiten einander nicht näher. Und die Naturschützer müssen die andere Seite auch nicht verstehen. Die Zeit läuft für sie.

Aber zusammen kommen wir auf diese Weise nicht. Was uns abgeht, ist eine Diskussion über die dahinter liegenden Werte. Haben heimische Arten ein Lebensrecht? Können wir unseren Mitmenschen zumuten, dass sie wegen unserem Handeln deutliche Veränderungen oder gar Erschwernisse in ihrem Leben hinnehmen? Wie sehr wiegt unsere Verantwortung für die Natur im Vergleich zum individuellen Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung? Stattdessen konfrontieren wir uns gegenseitig mit unseren Positionen. Ein gegenseitiges Verstehen entsteht so nicht.

Realistisch gesehen erwarte ich keine Veränderung der Diskussion, so sehr ich sie mir wünschen würde. Wenn alles einiger Maßen wie bisher weiter läuft, sind in zwanzig Jahren Deutschland einschließlich des widerständigen Südens und der Alpenraum von Wölfen komplett besiedelt. Die größten Scharfmacher heute werden dann die größten Verlierer sein, weil sie all ihre Energie in Stellungskämpfe und nicht in Lösungen gesteckt haben. Und die Einsicht wird nicht oder zu spät kommen, dass uns nur Lösungen am Ende weiterhelfen.

Felix Knauer, 51, ist Wildbiologe am Forschungsinstitut für Wildtiere und Ökologie in Wien (FIWI). Er hat das in Polen entwickelte Habitatmodell für Wölfe auf Deutschland übertragen, nach dem etwa 440 Rudel in unserem Land Platz fänden.