Das Europa der Wölfe: Fragen an den Autor Kaj Granlund

Das Europa der Wölfe: Fragen an den Autor Kaj Granlund

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13.05.2016

Kaj Granlunds Buch „Das Europa der Wölfe,“ 227 Seiten, ISBN 978-952-93-6322-3, 32 Euro, ist eher ein politisches Pamphlet gegen Wölfe als ein fachlich qualifizierter Beitrag zu ihrer Rückkehr. Eine Buchbesprechung kann sich daher nicht allein den Text vornehmen, sondern muss das Umfeld mit einbeziehen.

Kaj Granlund ist in der deutschen Wolfsszene kein unbekannter. Er gehört zum Kreis von Magnus Hagelstam, Eirik Grankvist, Valerius Geist, Wernher Gerhards und dem in Sachsen ansässigen „Verein Sicherheit und Artenschutz.“ Dieser Kreis hat es sich auf die Fahne geschrieben, die deutschen Wölfe zu Hybriden zu erklären und die Zuwanderung als „Aussetzung“ zu deklarieren. Bei der Jahreshauptversammlung der Gesellschaft für Wildtier- und Jagdforschung war Granlund mit einem Vortrag über Wölfe aufgetreten, der bei manchen Teilnehmern verständnisloses Kopfschütteln auslöste. Der Vorsitzende der Gesellschaft, Prof. Dr. Michael Stubbe, der noch kurz vorher ein unfreundliches Interview zum Wolf in Deutschland gegeben hatte, hat Granlunds Buch in geradezu schwärmerischen Tönen empfohlen. Was also hat uns Kaj Granlund mitzuteilen?

„Das Europa der Wölfe“ wurde aus dem Schwedischen übersetzt von zwei Mitarbeiterinnen des Magazins JÄGER. Da horcht man auf. Dieses Blatt hat sich mit abstrusen Geschichten über Wölfe – darunter die Piotr-Saga, der Verkehrsunfall mit neun toten Pferden bei Meißen, der von einem Wolf „angegriffene Jäger“ – einen zweifelhaften Ruf erworben. Da scheinen sich einige gleich gesinnte gefunden zu haben. Die Übersetzung ist sprachlich dürftig. Ein Lektorat hat man sich gespart oder schlicht vergessen, deshalb strotzt der Text von Fehlern. 32 Euro für dieses Opus sind kein stolzer, sondern ein weit überzogener Preis.

Granlunds Buch kommt mit dem Gestus eines Fachbuches daher, aber in Wahrheit ist es ein politisches Pamphlet mit dem Ziel, die Schutzwürdigkeit des Wolfes mitsamt dem Wolfsmanagement und der Wolfsforschung zu diskreditieren. Diesem Anspruch ist der Autor nicht gewachsen. Deshalb greift er zu fragwürdigen Methoden. Willkürlich stellt er Fakten, Mutmaßungen und Behauptungen in den Raum, wobei oft nicht ersichtlich ist, ob es sich dabei um fremde oder eigene handelt. Quellen gibt er nur selten an, und wenn, dann eher kryptisch, ohne Jahreszahl und Titel. Der Text ist durchsetzt mit Polemik. Überhaupt nicht zu akzeptieren sind Passagen, in denen er Menschen mit anderen Ansichten (Wissenschaftler, Naturschützer, Politiker) anonym verächtlich macht.

Worum es Granlund geht, ist die Feststellung, dass die die deutsch-westpolnischen Wölfe, aber auch die Wölfe in Skandinavien und Finnland gar keine „echten“ Wölfe sind, sondern Hybriden. Den Kern seiner Ausführungen bildet daher die Gegenüberstellung von Genetik und Morphologie, wobei er letztere favorisiert. Er meint, Hybriden von echten Wölfen auf Grund morphologischer Merkmale zuverlässiger unterscheiden zu können als mit Hilfe der Genetik.

Die genetische Analyse könne den Nachweis, ob ein Individuum ein Wolf oder ein Wolf-Hund-Hybrid ist, gar nicht erbringen, weil es keine hybridfreie Referenzpopulation gibt, mit der eine genetische Probe verglichen werden kann. Genetische Proben eines Tieres würden also nicht mit einem reinen Wolfs-Genpool, sondern immer mit einem durch Hybriden durchsetzten Genpool verglichen. Damit mag Granlund sogar Recht haben. Denn seit sich der Hund vom Wolf abgespaltet hat, ist es immer wieder zu Paarungen Wolf – Hund gekommen, zur „Introgression“ von Hundegenen in den Genpol der Wölfe. Na und? Kein Mensch wird auf die Idee kommen, den Status der kanadischen Wölfe als „echte“ Wölfe anzuzweifeln, weil es dort schwarze Wölfe gibt, die ihre Farbe einem Gen verdanken, das offenbar erst in der Hundelinie entstanden ist, nachdem sich diese von der Wolfslinie trennte.

Ein Wolfsrudel im kanadischen Yukon: Sind der fast weiße Wolf links oder der schwarze im Vordergrund  Hybriden, nur weil sie sich äußerlich von ihren Artgenossen unterscheiden? Foto Alan Baer.

Ein Wolfsrudel im kanadischen Yukon: Sind der fast weiße Wolf links oder der schwarze im Vordergrund Hybriden, nur weil sie sich äußerlich von ihren Artgenossen unterscheiden? Foto Alan Baer.

Trotzdem könnte ich Granlund bis hier her noch folgen (bin aber kein Genetiker und möchte ein Urteil gerne kompetenten Leuten überlassen). Aber es wird für mich richtig schräg, wenn er ausführt, dass letztendlich morphologische Merkmale die verlässlicheren Kriterien seien, wenn man Wölfe von Hybriden unterscheiden will. Deshalb breitet er auf 48 Seiten diese Merkmale aus – Fellfarbe, Augenfarbe, Krallenfarbe, Körpermaße usw. – aber er verschweigt, an welchen absolut „reinen“ Wölfen er die „echten“ Kriterien ermittelt hat; denn solche gibt es ja gar nicht, wenn Granlund Recht hat. Und schon gar nichts sagt er darüber, wie stark solche Merkmale in einer „reinen“ Population variieren können.

Diese Bandbreite (Variabilität) der morphologischen Merkmale ist einer der Gründe, warum eine Unterscheidung von Unterarten, Ökotypen, Rassen nur nach äußerlichen (morphologischen) Merkmalen heute abgelehnt wird. Von den unmenschlichen Folgen dieser Betrachtungsweise in der Nazi-Ideologie einmal abgesehen (Granlund verweist selbst darauf) hatte uns das in der Vergangenheit ungefähr zwei Dutzend „Unterarten“ des Wolfes beschert – heute unterscheidet man noch etwa ein halbes Dutzend.

Granlund glaubt in der Tat, „unsere“ Wölfe seien allesamt Hybriden. Er hat uns das vor Jahren schon einmal anhand von mittelmäßigen Dias vorgeführt. Um seine einsame These zu untermauern, greift er auf Gerüchte zurück, wie diese Hybriden entstanden und in die freie Natur gebracht worden sein sollen. Mit besonders großer Hingabe werden solche Gerüchte unverdrossen im JÄGER-Magazin verbreitet (die Piotr-Saga – siehe oben).

Auf Seite 109 beginnt ein Absatz über Deutschland mit dem Satz: „Ende der 1990er Jahre wurde der Wolf in der Lausitz ausgesetzt.“ In der Originalausgabe kommt dieser Absatz nicht vor, er wurde also nachträglich in die deutsche Fassung eingebracht. Eine Quellenangabe fehlt – aber das ist die mit Nachdruck vertretene Meinung des Magazins JÄGER, wo die beiden Übersetzerinnen von Granlunds Buch beschäftigt sind. Ich hätte Kaj Granlund gerne gefragt, welche Erklärung er dazu hat.

Im Kapitel „Verhalten“ vertritt Granlund die Theorie von einer strengen Rudelhierarchie, die durch häufige Aggressionen der ranghohen gegenüber den sozial unterlegenen Tieren ausgefochten wird. Beißereien im Rudel seien an der Tagesordnung. Wir wissen heute, dass dieses Verhaltensmodell durch Beobachtungen an Wölfen im Gehege entstanden ist, auf wild lebende aber nicht zutrifft. Auch in diesem Feld ist Granlund also nicht auf der Höhe der Zeit.

Zu den anderen Kapiteln ist wenig zu sagen. Der gesamte Text ist geprägt durch das Bestreben des Autors „in dubio contra reum“ – im Zweifel gegen den Angeklagten. Selbst Viren und Bandwürmer müssen herhalten, um den Wolf zu dämonisieren, und natürlich auch die „grüne“ Bewegung.

V. Zimmermann & Dr. F. Kullmann von FeliCITES GbR fassen ihre Rezension so zusammen: „Das Europa der Wölfe ist eine Mischung aus Fakten und Dichtung, enthält eine ordentliche Portion Polemik und die Quellenangaben im Text sind dürftig, viele Behauptungen werden ohne Beleg und Quellennachweis aufgestellt. Das Werk lässt die gebotene wissenschaftliche Neutralität vermissen, ihm fehlt die Ausgewogenheit. Dazu kommen eine nachlässige Übersetzung und ein offenbar nicht erfolgtes Lektorat. Der Preis von 32 Euro erscheint entsprechend zu hoch. Wir können uns der Empfehlung von Prof. Dr. Michael Stubbe nicht anschließen. Gesamturteil: Nicht empfehlenswert.“

Unterschrift UW