Zu den Vorkommnissen in Diepholz-Vechta und Munster:
03.03.2015
Sebastian Koerner
Mir ist kein vergleichbarer Fall der Annäherung von (offensichtlichen) Jungwölfen an sie anschreiende Spaziergänger bekannt. Ich habe aber sowohl in Munster als auch in neun anderen Wolfsterritorien Deutschlands die Erfahrung gemacht, dass Jungwölfe unbedarfter und in diesem Sinne weniger scheu als Altwölfe sind, und dass sie den Menschen nicht so geschickt meiden wie ihre Eltern. Im Laufe seiner individuellen Entwicklung wird dann jeder unbedarfte Jungwolf zu einem Altwolf, der Konflikte mit Menschen so gut er eben kann vermeidet.
Die Jungwölfe des Munsteraner Rudels seit dem ersten Wurf im Jahr 2012 scheinen Menschen – im Vergleich zu den Jungwölfen in der Lausitz – besonders häufig und besonders nah begegnet zu sein. Die Ursachen hierfür müssen dringend und intensiv von erfahrenen Kennern des Wolfsverhaltens unter mitteleuropäischen Lebensbedingungen untersucht werden. Eine mögliche Ursache kann in besonders häufigen Kontakten zu den Soldaten liegen. Ich habe außer in Munster noch an Rendezvousplätzen von vier anderen Rudeln auf aktiven Truppenübungsplätzen gefilmt. An keinem bin ich dabei übender Truppe begegnet. In Munster aber befinden sich die Wurfbaue und alle mir bekannten Rendezvousplätze in unmittelbarer Nähe zu häufig frequentierten Schießbahnen und Warteplätzen übender Panzer- und sonstiger Einheiten. Bei vielen meiner Aufenthalte dort außerhalb der Instandsetzungszeiten kurvte ich bei der Anfahrt zu meinen Ansitzen durch in Deckung oder offensichtlich herumstehende Panzerverbände. Es gibt Berichte, wonach Soldaten Jungwölfe, die neugierig um die Panzer herumstreiften, in nur wenigen Metern Entfernung beobachtet haben. Ob dieses Aufwachsen in unmittelbarer Nähe von stehenden Fahrzeugverbänden für das distanzlose Verhalten der Munsteraner Jungwölfe alleine ursächlich ist, oder ob Soldaten die Wölfe entgegen bestehender Anweisungen gefüttert haben, muss jetzt dringend untersucht werden.
Festzustellen bleibt aber auch, dass die Munsteraner Jungwölfe vergangener Jahrgänge ihr unbedarftes Verhalten gegenüber Menschen im Laufe ihrer individuellen Entwicklungen offensichtlich abgelegt haben und zu „normal scheuen“ Altwölfen geworden sind.
Klaus Bullerjahn
Leider überschlagen sich zurzeit die Ereignisse. In Neuhorst, Herzogtum Lauenburg, wird die mangelnde Scheu eines Wolfes bereits mit Genehmigung für Gummigeschosse und ggf. Abschuss quittiert, Kindergärten werden „eingelappt,“ und die einschlägige Presse triumphiert und quittiert das Bemühen um die Aufrechterhaltung der Definition vom harmlosen Wolf mit Häme. Wir haben nicht mehr viel Zeit, unsere Positionen zum Wolf, die Empfehlungen zum Umgang, zur Bewertung von Begegnungen und die Maßnahmen zur „Konditionierung“ anzupassen. Der erste amtlich angeordnete Wolfsabschuss wird ein Dammbruch sein, den wir nicht wieder beherrschen werden.
Im Fall Neuhorst gibt es sicher keinen Grund den Wolf abzuschießen, er hat sich eben nur unschwer von seiner Beute getrennt. Nach Aussage des Wolfsberaters hat der Wolf auch keine Aggression gegenüber Menschen gezeigt, die sich bis auf 10m nähern konnten. Das Problem ist der Verlust der Deutungshoheit des Wolfsmanagements, da die öffentliche Wahrnehmung einfach registriert, dass das Verhalten von einigen Wölfen von offiziellen Verlautbarungen abweicht und es an direkten Reaktionen auf derartige Vorfälle fehlt. Mit der Folge, dass Anordnungen zum evtl. Abschuss wie in Schleswig-Holstein, so unangemessen sie auch sein mögen, in den entsprechenden Kreisen Beifall finden und jede andere „mildere“ Vorgehensweise gegenüber vermeintlich verhaltensauffälligen Wölfen als Augenwischerei gebrandmarkt wird. Ich halte die Einrichtung einer Einsatzgruppe, die jeden dieser Vorfälle untersucht, bewertet, Maßnahmen empfiehlt und nach Abstimmung mit dem MU umsetzt für sinnvoll. Es sollte sich dabei um Experten handeln, die nicht nur in der Lage sind, eine Beurteilung zu erstellen, sondern auch „handwerklich“ Vergrämungsmaßnahmen, Immobilisation, Telemetrie oder ggf. auch den worst case, sprich Abschuss einzelner Tiere durchführen können. Die Aktion vor Ort ist wichtig und sollte nach einheitlichen Maßstäben durchgeführt werden. Die Bewertungen und Ergebnisse müssen unmittelbar nachvollziehbar für die Öffentlichkeit kommuniziert werden.
Es ist keine gute Lösung, dass sich je nach ideologischer Zugehörigkeit Wolfsberater, vermeintliche Wolfsexperten oder selbsternannte Gefahrenanalytiker um Interpretation einzelner Fälle bemühen, bis dann irgendwann mit einer offiziellen Verlautbarung versucht wird, die Gemüter zu beschwichtigen. Den jüngsten Vorfällen sollte in einer Überarbeitung der Empfehlungen für Wolfsbegegnungen Rechnung getragen werden.
Frau Nowak ist bei ihrer Wolfsbegegnung genau nach den Anweisungen des MU vorgegangen: Hunde anleinen, Rückzug, bemerkbar machen, durch Schreien und Armbewegungen versuchen, die Wölfe zu vertreiben – nur unmittelbar funktioniert hat eben nichts davon. Egal ob die Wölfe sich für die Hunde oder Frau Nowak interessierten, waren alle Empfehlungen des MU für Wolfsbegegnungen wirkungslos, bevor sich die Situation entschärfte. Ausgehend davon, dass die Koexistenz zwischen Wolf und Mensch in Deutschland sehr jung ist, Wölfe sehr lernfähig sind und Erfahrungen weitergeben, ist die Entwicklung ergebnisoffen und wie Wotschikowsky anmerkt, sind „..Wölfe für Überraschungen gut, auch für unangenehme“.
So selten aggressive Begegnungen statistisch sein mögen, auszuschließen sind sie nicht, daher darf die Bevölkerung mehr praktikable konkrete Empfehlungen für Wolfsbegegnungen erwarten. Hierzu muss das Rad nicht neu erfunden werden, sondern die offizielle Sprachregelung muss angepasst werden und natürlich endlich ein Wolfsmanagementplan mit definierten Maßnahmen auf möglichst konkretisierte Szenarien.
Norman Stier
Der Deutsche Jagdverband (DJV) hat Dr. Norman Stier, Koordinator des Wolfsmonitorings in Mecklenburg-Vorpommern, zum Wolf in Deutschland interviewt. Hier ein Auszug aus dem Interview:
DJV: Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein: Derzeit häufen sich Meldungen, dass einzelne Wölfe in der Nähe von Menschen auftauchen und trotz geringer Distanzen nicht flüchten. Wie ist das zu beurteilen?
Stier: Es zeigt ein Verhalten, das vom Wolfsmanagement nicht gewollt ist und auch nicht akzeptiert wird. Die meisten Managementpläne oder andere Dokumente, die den Umgang mit Wölfen in Deutschland regeln, sehen Maßnahmen vor, um dies abzustellen. Im ersten Schritt ist vorgesehen, zu versuchen, diesen Tieren die nicht gewünschten Verhaltensweisen abzugewöhnen, auch wenn das sehr schwierig ist. Erst im zweiten Schritt sollen solche Individuen der Population entnommen werden, damit keine gefährlichen Situationen entstehen können und die Akzeptanz der Art in der Bevölkerung nicht gefährdet wird.
Menschen haben kürzlich einen Wolf in einer Schafherde auf frischer Tat ertappt. Obwohl sie sich bis auf wenige Meter näherten, ließ sich der Wolf erst nach einer ganzen Weile vertreiben. Wie ist der aktuelle Fall in Schleswig-Holstein zu beurteilen?
Stier: Es handelte sich scheinbar um einen Wolf, die Ergebnisse der genetischen Untersuchungen liegen jedoch noch nicht vor. Das Tier hatte offensichtlich eine extrem geringe Scheu vor Menschen, die kritisch zu sehen ist und nicht akzeptiert werden kann. Solche Fälle sind durch das Wolfsmonitoring intensiv zu beobachten und zu analysieren. Nach Auswertung der Sachlage insgesamt, muss das Wolfsmanagement des jeweiligen Bundeslandes über den Umgang mit solchen Individuen entscheiden.
Die Scheu von Wölfen wird erheblich durch Umwelteinflüsse bestimmt. Negative Erfahrungen – etwa ein überlebter Verkehrsunfall oder Stromkontakt an Weidezäunen in der Nähe zu menschlichen Siedlungen – erhöhen diese. Positive Erfahrungen – etwa Fütterung oder Duldung in der Nähe von Menschen – verringern die Scheu. Wie sich Wölfe gegenüber dem Menschen verhalten, hängt oft auch von der Scheu der Elterntiere ab.
Was sind Merkmale für auffällige Wölfe? Und wie sehen mögliche Maßnahmen aus?
Wolfswelpen, auch wenn sie schon körperlich ausgewachsen sind, können neugierig sein und teilweise eine geringe Fluchtdistanz haben, was als normal angesehen wird. Sobald aber körperlich ausgewachsene Wölfe gezielt Menschen aufsuchen, die sie wahrgenommen haben, oder sich auf Distanzen von unter 50 m nicht vertreiben lassen, sollte deren Verhalten überwacht werden. Maßnahmen, die das Verhalten bzw. die Fluchtdistanz verändern, können der Beschuss mit Gummigeschossen oder das Abschießen von Knallkörpern sein. Mittels Telemetrie können solche Tiere und der Erfolg der Maßnahmen überwacht werden. Um ein Tier der Population zu entnehmen, kommt im Grunde nur der Abschuss in Frage, da erwachsene, in freier Wildbahn groß gewordene Wölfe in Gefangenschaft nicht tierschutzkonform untergebracht werden können.
Wie sollten Menschen reagieren, die auf Wölfe treffen, die offensichtlich neugierig sind und die Nähe regelrecht suchen?
Man sollte versuchen diese Tiere mit lautem Rufen und Bewegungen zu vertreiben und sich dann zurückziehen. Besonders wichtig ist, dass dieser Vorgang sofort an das Wolfsmonitoring des Bundeslandes gemeldet wird, damit entsprechend schnell reagiert werden kann.
Gibt es besondere Verhaltensregeln für den Ausflug mit Hunden in bekannte Wolfsgebiete?
Im Wolfsgebiet sollten Hunde grundsätzlich angeleint geführt werden und auf keinen Fall sich weit entfernt vom Führer freilaufend bewegen. Wölfe sehen Hunde unter Umständen als Konkurrenten an, die ihr Revier übernehmen wollen. Hieraus können sich für Hunde gefährliche Situationen ergeben.
Tobias Bürger
Ein Wolf lässt sich an einem Waldkindergarten blicken, ein anderer kann trotz Einsatz von mehreren Personen nur schwer von einer Schafherde ablassen und darf nun geschossen werden. Dann gibt es noch die Munsteraner Wölfe, die sich den Menschen, seien es Förster, Joggerinnen oder Spaziergängerinnen mit Hunden, gerne mal aus der Nähe präsentieren. Und wenn Menschen vor Wölfen flüchten, erfährt man das erst durch eine Jagdzeitschrift. Ja, irgendwas läuft da falsch.
Es gibt sie also ohne Zweifel: Wölfe, die wenig Scheu vor dem Menschen haben. Und diese Wölfe haben die Erfahrung gemacht: Der tut nix. Der läuft sogar weg, wenn wir nah genug herankommen. Die Vermutung, dass diese Wölfe von Menschen gefüttert wurden, ist berechtigt. Wenn das tatsächlich so ist, sollte man spätestens jetzt merken, dass das eine ziemlich bescheuerte Idee war. Nicht nur tollwütige Wölfe haben in der Vergangenheit Menschen getötet, auch an Menschen gewöhnte Exemplare waren dazu fähig. Es ist also der Mensch, der es in der Hand hat, was aus den Wölfen wird. Problematisch ist dabei, dass man im Gegensatz zur Tollwut die Dummheit von Menschen nicht ausrotten kann.
Für mich als Hobby-Tierfilmer und -fotograf ist die Neugier von Wolfswelpen eine gute Gelegenheit, schöne Aufnahmen zu machen. Mitte Januar konnte ich einen Wolfswelpen in der Lausitz ganze sieben Minuten filmen, obwohl er mich entdeckt hatte. Am Ende hat er sich aus dem Staub gemacht, wie es sich für einen Wolf gehört. Die Munsteraner Wölfe mögen das etwas anders sehen. Zumindest über „Wolf Nummer sieben“ des Munsteraner Rudels sollte man sich Gedanken machen. Er ist mit ziemlicher Sicherheit kein Welpe, da dieses Jahr nur sechs Welpen gezählt wurden. Trotzdem hat er sich gegenüber der Spaziergängerin mit den Hunden, die von sieben Wölfen berichtet hat, wie ein Welpe verhalten. Wenn der mal kein schlechtes Vorbild für die anderen ist, die auf absehbare Zeit überall in Deutschland auftauchen können…
An das Wolfsmanagement in Niedersachsen: Ich würde auch in Zukunft gern Wölfe in der Lausitz filmen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das noch lange möglich ist, wenn bei Euch der worst case eintrifft. Also: Unternehmt doch bitte etwas!