Wolfshatz für die Forschung
22.10.2017
Fremde Federn sind nicht mein Ding. Deshalb muss ich hier klarstellen: Ich habe niemals im Leben aus dem Hubschrauber heraus einen Wolf mit einem Narkoseschuss betäubt. In einem Textkommentar des Bayerischen Rundfunks zu einem Interview wird mir diese Behauptung in den Mund gelegt. Sie ist nicht wahr, und sie ist so nicht gefallen.
Aber lassen Sie sich den Hintergrund erzählen:
Im März 1993 war ich einer Einladung von Bob Hayes gefolgt, im Yukon an seinem Wolfsprojekt Finlayson teilzunehmen. Schon am ersten Tag ging es ans Eingemachte. Einer der Buschfliegerpiloten im Team hatte ein Wolfspaar lokalisiert, der Halsbandsender des Rüden sollte ausgetauscht werden. Also schwang sich John Witham mit seinem Hubschrauber in die Lüfte. Alan (Al) Baer mit dem Narkosegewehr saß rechts neben ihm, und ich durfte hinter dem Piloten Platz nehmen. Ich ahnte nicht, was mir bevorstand.
Die beiden Wölfe hatten wir bald im Auge. Der summende Buschflieger, von dem aus Denny sie erspäht hatte, war ihnen egal gewesen, aber das Tock tock tock des Helikopters hielten sie nicht aus. Sie rannten, was sie konnten, ein mühsames Unterfangen in dem mehr als metertiefen Zuckerschnee. Die Zunge hing ihnen weit aus dem Rachen, ihre Atemstöße standen wie Rauchfahnen in der eisigen Luft. Es waren minus dreißig Grad.
Zwischen den einzelnen Bäumen musste John all seine Flugkünste aufbieten, weil sie sich nicht aus dem schütteren Wald in freies Gelände raustreiben lassen wollten, das Al für einen guten Schuss brauchte. Nach zahllosen Manövern brachte Al schließlich doch sein Projektil ins Ziel, und der Rüde legte sich hin. Minuten später stand ich vor ihm.
Ein fast schwarzer, an den Flanken und im Gesicht eisgrauer Timberwolf. Mein erster Wolf auf Tuchfühlung – aber was für ein „Tuch“ war das. Noch heute nach über zwanzig Jahren überläuft es mich bei der Erinnerung daran, wie ich ihm mit der Hand übers Fell strich. Strähniges, grobes, derbes Haar. Kuschelig hätte sich anders angefühlt. Und ja, ich hatte nasse Augen. Das Wilde, die Wildnis – nie war sie mir zum Greifen so nah.
Es ist diese Szene, die ich in dem besagten Interview erzählt habe, als mich der Reporter nach dem stärksten Erlebnis fragte, das mich mit Wölfen verbindet. Dieser unmittelbare Kontakt mit einem wilden Wolf, mit der Wildnis schlechthin – er hat tiefe Spuren in mir hinterlassen. Selber spielte ich dabei nur eine ganz unbedeutende Rolle.
In den Wochen danach saß ich wiederholt neben Al und hinter John Witham, wenn der mit seinem knallgelben Bell-Helikopter hinter den Wölfen herjagte. Gerade mal drei, vier Meter über Grund, während Al rechts aus dem Fenster hing, das Gewehr an der Wange, um genau im entscheidenden Sekundenbruchteil abzudrücken. Ich weiß nicht, wer der größere Könner war – John am Steuerknüppel oder Al am Abzugsbügel. Und nicht zu vergessen Tom oder Denny, die Buschfliegerpiloten, die uns in größerer Höhe begleiteten und John vor einzelnen dürren Baumstämmen warnten, die in dem gleißenden Licht schwer zu sehen waren. Es war grandioses Teamwork mit lauter exzellenten Einzelspielern. Es waren unvergessliche Tage. uw