Vierzig auf einen Streich
13.10.2018
Mindestens vierzig Schafe sind anfangs der Woche von Wölfen des Daubaner Rudels in Sachsen gerissen worden. Noch einmal so viele haben sich in alle Himmelsrichtungen verstreut. Die näheren Umstände sind noch nicht geklärt. Dennoch will das Landratsamt Görlitz eine Abschussgenehmigung prüfen. Es spreche „wohl nichts“ dagegen, meint der Umweltminister.
In einem der Fernsehfilme, die Sebastian Koerner über die Lausitzer Wölfe gedreht hat, ist eine Szene enthalten, in der ein Wolf am Zaun einer Schafweide entlang läuft. Die Schafe schauen ihm mäßig aufmerksam zu. Von Beunruhigung oder gar Panik keine Spur. Der Wolf würdigt die Schafe keines Blicks. Man scheint sich zu kennen. Die Szene spielt im Territorium des Daubaner Rudels. Der Wolf ist der Chef dieses Rudels.
In der Nacht vom Montag auf Dienstag (08.-09.10.) haben Wölfe des Daubaner Rudels – die Rede ist von vier Tieren – ein Massaker in der Moorschnuckenherde angerichtet, die bei Förstgen eine Naturschutzfläche beweidet. Die 150 Schafe nebst einigen Ziegen waren mit einem elektrischen Flexinetz von 105 oder 110 cm Höhe (es gibt unterschiedliche Angaben) geschützt. Das Gelände dort ist nicht völlig eben, sondern wellig, was einen guten Schluss des Zauns zum Boden erschwert. Eine Litze über der Zaunkante war nicht vorhanden. Keine Herdenschutzhunde. Der Boden ist infolge der seit Monaten ausbleibenden Niederschläge staubtrocken. Die beweidete Fläche befindet sich im Territorium des seit langem dort bestätigten Daubaner Rudels. Der letzte Übergriff geschah im Dezember 2017.
Der pure Zufall hat es so eingerichtet, dass ich fünf Tage vor dem Ereignis vor Morgengrauen im Daubaner Wald sitze in der Hoffnung, Wölfe zu erleben. Mit mir Sebastian und Chris Morgan (50), ein Tierfilmer aus den USA, der gerade erkundet, ob er nicht einen Film über die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland machen könnte. Wie wir da sitzen, würde uns kein Mensch und auch kein Wolf erkennen – eingewickelt wie Larven im Gespinst der Tarnkleider, die Sebastian uns verpasst hat. Wir sehen einen Fischotter, der auf und ab tauchend die Wasseroberfläche eines kleinen Sees vor uns durchpflügt – das allein ist die Reise wert. Wölfe sehen wir keine.
Am Nachmittag besuchen wir Frank Neumann. Der hat im Jahr 2002 in zwei Nächten 33 Schafe an das damals einzige, erste Wolfsrudel verloren. Hat nicht über die Wölfe lamentiert, sondern in die Hände gespuckt: sich sachkundig gemacht, Zäune verbessert, Herdenschutzhunde gekauft und gezüchtet. Jetzt ist er in Pension, seinen Betrieb hat sein Sohn übernommen. Wir treffen ihn bei einer Herde von 300 Schafen hinter Elektrozaun, dort erwarten uns zwei mächtige Pyrenäenberghunde, die uns akustisch klarmachen, dass wir hier nicht willkommen sind. Aber das legt sich nach wenigen Minuten. Da haben sie verstanden, dass wir mit Frank befreundet sind.
Frank erzählt zum wahrscheinlich eintausendsten Mal, wie man das macht mit Schafen im Wolfsland. In Chris Morgan hat er einen Zuhörer, der am Abend erschöpft in die Kissen sinken wird – vollgeladen mit Kenntnissen und Erfahrungen und – da bin ich mir ziemlich sicher – voller Stoff für eine seiner vielbeachteten Sendungen in den USA. Googeln Sie mal Chris Morgan!
Eine Erläuterung von Frank nehme ich allerdings zum ersten Mal wirklich richtig wahr: Ganz entscheidend sei bei Elektrozäunen die Erdung. Er meint, dass wegen der anhaltenden Trockenheit viele Elektrozäune, die an sich gut aufgestellt seien, nicht funktionieren. Genau das ist mein erster Gedanke, als ich wenige Tage später von dem Desaster erfahre, den Wölfe im Daubaner Wald angerichtet haben. Vierzig tote Schafe, fast alle trächtige Muttertiere.
Schlimm, dieser Fall. Aber Wildtiermanagement steht niemals still. Das ist ein ständiger Prozess. Jeder „Fall“ bietet neue Einsichten. Wir müssen nur die Augen öffnen. Ein paar Hinweise dazu lesen Sie bitte unter „Lehren aus dem Fall Dauban.“ uw