Erziehungsprogramm für Wölfe?

Erziehungsprogramm für Wölfe?

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04.10.2017

Wölfen kann man nicht abgewöhnen, Weidetiere zu attackieren. Überlegungen dazu sind ein Irrweg. Was hilft, ist solider Herdenschutz und nichts sonst. Aber im Wahlkampf dürfen die Gedanken sonderbare Blüten treiben.

Wenn wir das Hochgebirge und die Deiche mal ausnehmen, dann steht fest: Schafe kann man gegen Wölfe mit vertretbarem Aufwand gut schützen. Im Prinzip gilt das auch für Rinder. Allerdings sind bei der Mutterkuhhaltung die Flächendimensionen um Zehnerpotenzen größer. Glücklicher Weise gehen die meisten Wölfe bei uns den Rindern aus dem Wege. Aber leider nicht alle.

Bei Cuxhaven sind die Wölfe anscheinend draufgekommen, dass Rinder eine leichte Beute sind. Statt mit Zäunen sind die Weiden in dem nassen, sumpfigen Gelände durch Wassergräben abgegrenzt. Das genügt, um Rinder in der Fläche zu halten. Es genügt aber nicht, um Wölfe davon abzuhalten, die Rinder anzugreifen. Die suchen ihr Heil in der Flucht und bleiben dann bis zum Hals in einem solchen Graben stecken. Das Ende ist grausam: Manche werden bei lebendigem Leib angefressen.

Rinder – das ist eine andere Dimension als Schafe. Wie schön wäre es, wenn man den Wölfen wenigstens die Angriffe auf Rinder verleiden könnte! Mit der Idee, Wölfe erziehen zu können, zieht der Präsident der Niedersächsischen Landesjägerschaft Helmut Dammann-Tamke durch die Talkshows. Dass eine Landtagswahl vor der Tür steht und D.-T. (CDU) auf den Posten des Landwirtschaftsministers spekuliert – ein Schelm, wer sich was dabei denkt. Meint er im Ernst, Wölfen beibringen zu können, dass sie Rinder meiden sollen? Und wenn – wie soll das gemacht werden?

In Brandenburg hegt die Jägerschaft ähnliche Gedanken. Im Mitteilungsblatt des Landesjagdverbandes vom Oktober äußert sich Geschäftsführer Matthias Schannwell in einem Interview zur Vergrämung von Wölfen. Er beklagt sich über gesetzliche Hürden bei Vergrämungsversuchen. Schannwell ist Jäger ebenso wie Dammann-Tamke. Ich bin auch einer, seit über fünfzig Jahren. Und ich frage mich, was die beiden umtreibt. Glauben sie im Ernst, man könne Wölfen den Appetit auf Nutztiere austreiben, indem man sich in die Nähe einer Viehweide setzt und darauf wartet, einen Wolf in flagranti mit Gummigeschossen beschießen zu können?

Man sollte ihnen – das ist mein voller Ernst – eine Handvoll Gummigeschosse geben und sie dann auffordern, darauf zu warten, dass ein Wolf vorbei kommt; dass er vor ihren Augen Weidetiere auf der Weide angreift; dass er sich dann genau bei dieser Gelegenheit auf weniger als zwanzig Meter beschießen lässt (so nah muss man rankommen, um mit diesen Dingern zu treffen!); und das alles, nebenbei bemerkt, mit aller Wahrscheinlichkeit nachts. Und das alles mehrmals bei ein und demselben Wolf – denn sonst wird der nicht kapieren, dass er Weidetiere in Ruhe lassen soll. Das muss nach menschlichem Ermessen alles zusammenkommen, wenn eine Vergrämungsmaßnahme überhaupt eine Aussicht auf Erfolg haben soll.

Weil ich bei solchen Gedankengängen nicht ernst bleiben kann, habe ich Dr. Kurt Kotrschal befragt, was er davon hält. Dr. Kotrschal leitet ein Forschungsinstitut, das sich dem Verhalten von Wölfen widmet. Hier seine Meinung:

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„Dass Wölfe lernen, Rinder zu erbeuten, wenn diese etwa aufgrund des Geländes in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind, ist eigentlich typisch Wolf. Das erhöht aber nicht gerade deren Akzeptanz in der Bevölkerung. Nun könnte man Schilder um Kuhherden aufstellen, mit denen man Wölfe darauf aufmerksam macht, dass es bei Strafe verboten ist, Rinder zu erbeuten. Dies würde aber voraussetzen, dass Wölfe lesen können. Wir arbeiten daran, ihnen das beizubringen, aber bislang sind sie trotz ihrer bemerkenswerten Intelligenz noch nicht besonders gute Leser. Und im Befolgen von für sie unsinnigen Anweisungen sind sie ohnehin grottenschlecht. Aber Scherz beiseite: Wölfe sind äußerst flexible und lernfähige Beutegreifer, Spezialisten darin, ihre Chance zu nutzen, wenn sich eine solche bietet. Darum halte ich einfache Rezepte, den Wölfen die Rinder abzugewöhnen, wie etwa Knallkörper oder Gummigeschosse, für nicht erfolgversprechend. Zudem müsste man dafür zur Zeit des Angriffs vor Ort sein, was Wölfe gewöhnlich mitbekommen. Tatsächlich bleiben daher die auch bei Schafen bewährten Maßnahmen, die Rinder etwa hinter mehrlitzigen Elektrozäunen zu halten, zumindest in der Nacht, bzw. die Anwesenheit eines Hirten und/oder der Einsatz von Herdenschutzhunden. Letzteres funktioniert gerade in schwierigem Gelände. Allerdings sollten im Sinne der Wirksamkeit dieser Maßnahmen die Rinder in geschlossenen Herden weiden, was sie als typische Beutetiere wahrscheinlich auch tun werden, wenn sie Wölfe in ihrer Nähe wahrnehmen“. Es geht also kein Weg an einem guten Herdenschutz vorbei. Das mag im Raum Cuxhaven schwieriger sein als anderswo im Flachland. Sei’s drum: Es gibt keine Alternative dazu, außer dem Abschuss der Wölfe – aber dann bitte überall, und dann fallen wir eben zurück in die Vorstellungen von hundert Jahren vorher und schämen uns in Grund und Boden vor jenen Völkern, denen wir zumuten, mit Löwen, Tigern, Elefanten etcetera auszukommen.

Ihr

Unterschrift UW