Eine Kulturgeschichte des Wolfs – von Rainer Schöller
14.12.2017
Rainer Schöller hat echten Frondienst geleistet für eine gute Sache. Er hat das Bild gerade gerückt, das wir vom Wolf aus dem späten Mittelalter bzw. der beginnenden Neuzeit haben. Dieses Bild bringt er in den Kontext der gesellschaftlichen, landeskulturellen und politischen Situation jener Zeit etwa zwischen dem 17. Jahrhundert und der Gegenwart – eine düstere Periode mit Millionen an Menschenverlusten im dreißigjährigen Krieg und durch die Pest, und Knechtung, ja Versklavung der bettelarmen Bauern durch Adel und Klerus. Eine Zeit, in der ein Menschenleben der ländlichen Leute wenig galt, und die zwangsläufig zum Aufbegehren gegen die allgewaltige katholische Kirche, zu Bauernkriegen und zur Französischen Revolution führte.
Der Wolf – mittendrin. Hervorragend geeignet als Mittel für egozentrische Zwecke – etwa die Bauern zu schweren Jagdfrondiensten zu zwingen, nicht wie vorgegeben für die Weidetiere, sondern um das herrschaftliche Wild vor den Beutegreifern zu schützen. Für Zwecke der Kirche auch, die einen leibhaftigen Ersatz für Satan brauchte, um die Gläubigen gefügig zu machen. Und als charismatisches Medium für allerlei magische Vorstellungen, Riten und Gebräuche, von denen die einfachen ländlichen Leute nicht lassen wollten, ja bis heute nicht lassen wollen …
Blutige Ereignisse werden in diesem Buch nicht verschwiegen. Im Gegenteil. Allein 16 Seiten nimmt die schauerliche, dennoch aufschlussreiche Geschichte von einem Wolf in Anspruch, der in der Oberpfalz neun Menschen umgebracht hat, vorwiegend Kinder. Minutiös belegt mit Originalquellen. Nirgends gerät der Autor in den Verdacht, das Treiben der Wölfe, die Last, die die Tiere für die Bevölkerung waren, schön zu reden.
Das Buch wiegt satte tausend Gramm. Es ist nicht leicht zu lesen. Manchmal ist der Text ein bisschen umständlich, und mit der Biologie des Wolfes ist der Autor nicht vertraut, aber was tut das schon zur Sache. Viele Wiederholungen sind offenbar seinem Anliegen geschuldet, die richtige Botschaft rüberzubringen. Das hätte ein einfühlsamer Lektor flüssiger machen können – aber sei’s drum. Was Schöller zu erzählen hat, belegt er mit hunderten von Originalzitaten direkt im Text. Das ist oft sprachlich schwer verständlich, original eben! – aber gerade wegen dieses Detailreichtums eine Fundgrube. Rainer Schöller hat ein aufwändiges, überaus dichtes und informatives Werk verfasst, dem ich viele Leser wünsche.
Ulrich Wotschikowsky
Rainer Schöller: Eine Kulturgeschichte des Wolfs. Tierisches Beuteverhalten und menschliche Strategien sowie Methoden der Abwehr. Reihe Ökologie, Band 10. 684 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Pb., 48 Euro. ISBN 978-3-7930-9894-2