Betäuben ist doch ganz einfach – oder?

Betäuben ist doch ganz einfach – oder?

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22.10.2017

In meiner Zeit als Wildbiologe habe ich an zahlreichen Betäubungsaktionen teilgenommen, darunter an Rothirschen und an Wölfen. Deshalb traue ich mir ein Urteil zu über die Aktionen, die die Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald unternimmt, um die ausgebrochenen Gehegewölfe wieder zu bekommen. Zu diesen Aktionen äußern sich gerade Kreti und Pleti, die anscheinend genau wissen, dass das ein Kinderspiel ist. Vielleicht haben sie in ihrer Jugend zu viel Daktari geschaut. Die Realität sieht anders aus.

Der Unterschied zwischen Narkosegewehr und einem Gewehr mit scharfer Jagdmunition ist ungefähr der: Mit einem Jagdgewehr können Sie ein Tier von Wolfsgröße (also zum Beispiel ein Reh) auf 150 m Entfernung sauber treffen. Sauber heißt durch die Lunge – nicht in den Pansen. Dazu muss das Reh still stehen, breitseits, und Sie müssen das Gewehr auf einer stabilen Unterlage auflegen können. Und Sie müssen dann immer noch ein geübter Schütze sein. Auf kurze Entfernung, unter 100 m, kann ein geübter Schütze auch spitz von vorne auf ein Reh schießen. Wenn er es richtig trifft, fällt es tot um.

Wenn Sie mit einem Narkosegewehr auf nur 50 m Entfernung auf ein breit stehendes Reh schießen, lacht sich dieses Reh einen Ast. Denn der lahme Narkosepfeil plumpst vor ihm auf den Boden. Steht das Reh nur 30 m entfernt, dann kann es passieren, dass das Reh den Hintern wegdreht, bevor der Pfeil dort ankommt. So langsam ist dieses ballistisch dürftige Geschoß!

Der Hintern (die Keule), nebenbei bemerkt, ist das bevorzugte Ziel, weil es dort viel Muskelmasse gibt.

Wenn Sie also einen Wolf betäuben wollen, dann müssen sie nicht nur nah ran, auf etwa 20 m. Er muss auch breitseits oder abgewandt da stehen und darf keinen Schritt machen. Aber wenn Ihnen der Wolf überhaupt den Gefallen tut, ruhig stehen zu bleiben, dann stellt er sich Ihnen frontal gegenüber. Da können Sie nicht schießen: Das Geschoß kann im Gesicht, im Auge landen. Und wenn es im Brustbereich auftrifft, dann ist da kaum Muskelmasse, sondern da sind Rippen und Brustbein, wo der Pfeil abbrechen kann.

Schwieriges Ziel für einen Narkoseschuss (Foto Peuker).

Schwieriges Ziel für einen Narkoseschuss (Foto Peuker).

Der Wolf allerdings wird es so weit nicht kommen lassen: Er sieht den langsamen Pfeil auf sich zufliegen und dreht sich weg. Auch damit ist eine Verletzungsgefahr verbunden – nämlich wenn der Pfeil in der Bauchflanke landet. Es sollte sich auch kein Lüftchen regen, denn das Geschoss ist sehr windanfällig. Es darf kein Zweiglein, nicht mal ein Grashalm in der Flugbahn sein.

Die Nationalparkverwaltung hat ihre Strategie inzwischen geändert. Neben dem Fang mit Fallen wird versucht, den beiden Ausreißern an einem Riss aufzulauern (ein Stück Rotwild wurde gerissen aufgefunden, vielleicht kehren die Wölfe zurück). Der Schütze sitzt auf einem Baum oder einem Hochsitz und wird versuchen, von oben zu schießen. Der Wolf darf davon nichts mitbekommen.

Vor kurzem habe ich in einem Interview erwähnt, dass man in Kanada Wölfe aus einem fliegenden Hubschrauber heraus mit Narkosepfeilen beschießt. Ja, das geht, aber es ist viel, viel schwieriger als gesagt. Ich habe es mehrmals erlebt. Wenn es Sie interessiert: Lesen Sie „Wolfshatz für die Forschung.“ uw