Wölfe in Zauche – ein Fallbeispiel

Wölfe in Zauche – ein Fallbeispiel

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26.10.2014

In der Hegegemeinschaft Zauche, Kreis Potsdam-Mittelmark, sind die Jagdstrecken von Damwild und Rehwild drastisch zurückgegangen. Dort ist das Lehnin-Rudel zu Hause. Die Schuld für den ausbleibenden Jagderfolg sucht man bei den Wölfen.

Im Kreis Potsdam-Mittelmark, Brandenburg, gab es bereits im Jahr 2012 während der Besprechungen zum Wolfsmanagementplan widersprüchliche Ansichten zur Zahl der Wölfe und deren Auswirkungen auf die Schalenwildbestände. Bei der ersten Tagung der Arbeitsgruppe Wolf und Jagd des Landes Brandenburg am 4. Februar 2014 war die dortige Hegegemeinschaft (HG) Zauche erneut Gegenstand Aufsehen erregender Berichte. Die Jagdstrecken bei Dam- und Rehwild, so wurde vorgetragen, seien eingebrochen, die jagdlichen Vorgaben nicht mehr umsetzbar, die Hegerichtlinien des Landes in Frage gestellt. Im sächsischen Wolfsgebiet sind dagegen die Jagdstrecken trotz einer zunehmenden Wolfspopulation bisher gleich hoch geblieben. Wie sind diese gegensätzlichen Befunde zu erklären? Hier ein Erklärungsversuch.

Rahmenbedingungen

Zentrum der HG Zauche ist der etwa 7.500 ha große militärische Übungsplatz Lehnin. Dieser bildet den Kern eines etwa 23.600 ha großen Damwildvorkommens. Die HG selbst umfasst 36.000 ha Jagdfläche und ist auf 33 Reviere aufgeteilt. Im Jahr 2009 hat sich das Lehniner Wolfsrudel etabliert. Sein Territorium entspricht in etwa dem Gebiet der HG. Ab 2010 hat dieses Rudel jedes Jahr vier bzw. fünf Welpen aufgezogen (Abb. 1).

Abb. 1: Abgrenzung der HG Zauche (lila) und ungefähres Streifgebiet des Lehniner Wolfsrudels (rot).

Abb. 1: Abgrenzung der HG Zauche (lila) und ungefähres Streifgebiet des Lehniner Wolfsrudels (rot).

In den letzten Jahren sind die Schalenwildstrecken eingebrochen. Im Jagdjahr 2013/14 kamen nur noch 215 Stück Damwild zur Strecke, ein Drittel der Strecke zehn Jahre vorher bzw. lediglich 40% des Abschussplans. Beim Rehwild war es ähnlich (Abb. 2, 3).

Abb. 2: Das Abschusssoll lag bereits vor Auftreten der Wölfe stets über den realisierten Strecken. Zusammen mit dem Eingriff der Wölfe wurde dann der Zuwachs übernutzt. Bestandsrückgänge waren die unvermeidliche Folge.

Abb. 2: Das Abschusssoll lag bereits vor Auftreten der Wölfe stets über den realisierten Strecken. Zusammen mit dem Eingriff der Wölfe wurde dann der Zuwachs übernutzt. Bestandsrückgänge waren die unvermeidliche Folge.

Eine Absenkung der Bestände beider Wildarten war aus land- und forstwirtschaftlichen Gründen wegen erheblicher Schäden gewollt. Das zeigt die Streckenstatistik in den Jahren vor dem Auftreten der Wölfe: Beim Damwild wurde das Soll hoch gehalten, ja sogar angehoben, obwohl die Abschusserfüllung stets dahinter zurück blieb. Auch beim Rehwild blieb es mit über 900 Stück (außer 2007) unverändert, obwohl es nur ein Mal (2007) erfüllt, sonst aber ständig um 10 – 20% unterschritten wurde. Aus den Streckenverläufen kann man den Eindruck gewinnen, dass es der Wölfe „bedurfte“, den geplanten Eingriff zu realisieren. Freilich war das nicht gewollt und hatte man sich das Ausmaß nicht so vorgestellt.

Die Schwarzwildstrecken lagen bei 500 Stück, mit drei Spitzenwerten von 800 (2008), 700 (2010) und 650 (2011) in drei Jahren. Der Rückgang ist deutlich geringer ausgeprägt als bei den Wiederkäuerarten.

Um das Geschehen einordnen zu können, muss man sich die behördlichen Vorgaben vor Augen halten. Die amtliche Zieldichte für Damwild beträgt vier Stück pro 100 ha – das ist für das gegenwärtige Damwildgebiet ein „Sollbestand“ von etwa 944 Stück. Bei nachhaltiger Bejagung und einer Nettozuwachsrate von 40% erlaubt das eine Jahresstrecke von etwa 378 Stück. Offenbar lag aber die tatsächliche Dichte anfangs weit über der Zieldichte – sonst lassen sich die hohen Sollziffern im Abschussplan nicht begründen. Beim Rehwild liegen die Verhältnisse ähnlich (Zieldichte vier Stück pro 100 ha). Ein Bestand dieser Größe (auf der Fläche der gesamten HG, also 36.000 ha, sind das 1.440 Stück) erlaubt wegen der höheren Zuwachsrate (50%) eine jagdliche Nutzung von etwa 720 Stück. Wohl gemerkt: das alles in Abwesenheit von Wölfen.
All diese Ungereimtheiten haben mit Wölfen nichts zu tun. Sie reflektieren lediglich die bekannten Unzulänglichkeiten unserer Abschussplanung: Wir verplanen fixe Abschusszahlen auf der Grundlage fiktiver, unbekannter Wildbestände. Und wir geben „Zieldichten“ vor, die sich weder begründen noch überprüfen lassen und deren Herleitung aus heutiger Kenntnis überaus fragwürdig ist.

Wölfe treten auf den Plan

In Anbetracht der allgemeinen Aufgeregtheit darüber, dass etwa ab 2009 zusätzliche Jäger in Gestalt der Wölfe auftraten, verwundert es allerdings, dass diese bei der Abschussplanung offenbar nicht berücksichtigt wurden: Man verfuhr wie vorher, setzte hohe Abschusszahlen fest, reagierte nicht auf den Rückgang der Strecken. Die Anzeichen eines deutlichen Populationsrückgangs bei Dam- und Rehwild – neben abnehmenden Strecken auch zunehmender jagdlicher Aufwand, weniger Beobachtungen, sinkende Erfolge bei Gesellschaftsjagden – wurden zwar durchaus wahrgenommen und auch heftig beklagt. Aber jagdlich reagiert wurde nicht.

Freilich: Wir haben nicht nur sehr mangelhafte Kenntnisse über die zahlenmäßige Größe der Wildbestände, die wir jagdlich verplanen. Wir wissen auch nicht, wie viel Wild sich die Wölfe nehmen. Inzwischen lässt sich der Eingriff der Wölfe jedoch einiger Maßen abschätzen. Denn im Laufe des Monitorings wurden Losungsproben gesammelt, die dem Lehniner Rudel zugeordnet werden können und vom Institut Senckenberg analysiert worden sind (Abb. 4). Welche Schlüsse ergeben sich daraus?

Abb. 3: Die Wölfe in Lehnin leben hauptsächlich von Rehen. Dies wird besonders deutlich, wenn die verzehrte Biomasse (blau) in einzelne Tiere umgerechnet wird (Orange). Schwarzwild spielt nur eine geringe Rolle.

Abb. 3: Die Wölfe in Lehnin leben hauptsächlich von Rehen. Dies wird besonders deutlich, wenn die verzehrte Biomasse (blau) in einzelne Tiere umgerechnet wird (Orange). Schwarzwild spielt nur eine geringe Rolle.

Zunächst zur Präsenz der Wölfe: Es ist davon auszugehen, dass sich das dort bestätigte Rudel als territoriales Paar im Jahr 2009 etablierte. Ende 2010 bestand es aus sechs Wölfen (darunter vier Welpen, die für die Eingriffsanalyse als „halbe“ erwachsene zählen; also vier „effektive“ Wölfe). In den Jahren danach unterstelle ich zwei Elterntiere, zwei Jährlinge und vier Welpen (gleich zwei „halben“ Wölfen), Summe sechs effektive Wölfe.

Zu den Wolfszahlen gibt es in der Jägerschaft widersprüchliche Vermutungen. Es ist gelegentlich sogar die Rede von bis zu 19(!)köpfigen Wolfsrudeln, von mehreren miteinander jagenden Rudeln u.s.w. Diese Angaben lassen sich mit dem modernen Kenntnisstand über Wölfe nicht in Einklang bringen und sind auch durch das Monitoring nicht belegt oder überprüft. Ich beziehe mich auf die offiziellen Ergebnisse des Monitorings (Butzeck mdl.) und gehe davon aus, dass wir es im fraglichen Gebiet mit dem Lehniner Rudel zu tun haben. Weitere Rudel leben in Altengrabow und in Jüterbog. Diese spielen für die HG Zauche aber keine Rolle.

Bei der Abschätzung des Eingriffs der Wölfe wird unterstellt, dass ein erwachsener Wolf pro Tag 5,4 kg lebende Beute tötet. Das sind 1.971 kg p.a.

Der Eingriff der Wölfe

Zunächst einige Worte zur Verteilung der Wolfseingriffe auf die Bestände ihrer Beutetiere: Inwieweit reflektieren sie das Angebot? Bevorzugen oder meiden die Wölfe die eine oder die andere Wildart? So sieht es aus: Rechnet man die verzehrte Biomasse mit Durchschnittsgewichten der jeweiligen Arten um, so spielt für die Ernährung der Wölfe nicht das Damwild, sondern das Rehwild die Hauptrolle. Die Wölfe in Lehnin erbeuten etwa viermal so viele Rehe wie Damwild. Sauen kommen dagegen im Beutespektrum mit 4% kaum vor. Anscheinend werden sie regelrecht gemieden.

Für manche ist das überraschend. Für mich nicht. Wahrscheinlich ist der Bestand an Rehen in Zauche deutlich höher als angenommen. Dies würde sich mit der allgemeinen jagdlichen Erfahrung der letzten Jahrzehnte decken. Keine Schalenwildart wird so drastisch unterschätzt wie das Reh. Die offensichtliche Vermeidung der Sauen andererseits entspricht den Erfahrungen in anderen Gebieten, z. B. in Polen. An erwachsene Sauen gehen Wölfe nicht ran. Sie fangen Frischlinge und schwache Überläufer.

Alles spricht dafür, dass der Einbruch der Jagdstrecken bei Dam- und Rehwild mit dem Auftreten der Wölfe zusammenhängt. Als Rudel mit etwa acht Tieren entnehmen sie pro Jahr der Damwildpopulation etwa 115 Tiere (auf 23.600 ha), der Rehwildpopulation etwa 445 (auf 36.000 ha).
Aber: Den „größeren Hebel“ haben nicht die Wölfe in der Hand, sondern die Jäger. Auch fünf Jahre nach der Etablierung des Lehniner Wolfsrudels haben die Jäger mehr Damwild erlegt als ihre wilden Konkurrenten. Beim Rehwild allerdings haben diese im letzten Jahr auf „Gleich“ aufgeholt.

Wenn wir davon ausgehen, dass sich das Lehniner Rudel auch in Zukunft hält, so werden die wilden Jäger der Damwildpopulation jährlich etwa 115 Tiere entnehmen. Die Rehwildpopulation wird etwa 445 Stück beisteuern, allerdings auf der gesamten HG-Fläche. Diese Zahlen müssen bei der jagdlichen Planung berücksichtigt werden.

Wenn man die Damwildpopulation wieder auf den zulässigen Stand von etwa 944 Stück bringt, heißt dies, dass die Jäger nachhaltig 260 Stück erlegen können. Das wäre etwa ein Stück pro 100 ha – keine Riesenstrecke, aber doch eine angemessene Beute, wie ich finde. Freilich müssen sie sich gleichzeitig bei der Rehwildbejagung zurückhalten; denn wenn der Bestand dieser Wildart weiter abnimmt, werden sich die Wölfe stärker als bisher an das Damwild halten.
Unklar ist in diesem Zahlenspiel die Rolle des Schwarzwilds. Dessen Zahl ist ab 2009 deutlich zurückgegangen, doch hängt dies mit Sicherheit nicht mit den Wölfen zusammen. Denn der Anteil von Sauen in den untersuchten Wolfslosungen liegt nur bei 4%, das entspricht etwa 27 Stück, die meisten davon Frischlinge. Sollten die Sauen allerdings zunehmen, so werden sie die anderen Schalenwildarten natürlich entlasten.

Wenn die HG an ihrer bisherigen Abschussplanung festhält, wird es bei Damwild und Rehwild ohne Zweifel zu einer weiteren Bestandsabnahme kommen. Das würde bedeuten: man jagt so weiter wie bisher und nimmt die Anwesenheit der Wölfe nicht zur Kenntnis. Aber man kann den Kuchen nicht gleichzeitig essen und haben wollen. Nimmt man sich die amtliche Zieldichte wirklich als Ziel vor, so müssen die Abschüsse – und damit das Abschusssoll – vorübergehend deutlich zurückgenommen werden. Denn an dem Faktor Wölfe können wir nichts ändern.

Eine Frage blieb bisher noch unbeantwortet: Warum stellen sich in Sachsen die Wolfseingriffe ganz anders dar? Weil die Jäger dort den Zuwachs des Schalenwildes nicht voll nutzen. So verbleiben Reserven, an denen sich die Wölfe bisher bedienen konnten, ohne dass dies in den Jagdstrecken seinen Niederschlag fand. Dies muss nicht so bleiben: Wenn die Abschüsse erhöht werden, wird es irgendwann für die Wölfe knapp bzw. der Gesamtzuwachs sinkt.

Was tun?

Zwei simple Grundannahmen müssen bei der künftigen Planung im Vordergrund stehen:
1 – Die Eingriffe der Wölfe in einer Höhe von 115 Stück beim Damwild bzw. von 445 Stück beim Rehwild sind in die Abschussplanung der kommenden Jahre einzubeziehen.
2 – „Kosmetische“ Korrekturen sind nicht zielführend. Wenn Wölfe und Jäger auch in naher Zukunft auf ihre Kosten kommen sollen, sind gravierende Kursänderungen erforderlich.

Bei der Versammlung am 18. Februar wurde von den Anwesenden mit großer Mehrheit einem Konzept zugestimmt, das beim Damwild ein deutlich geringeres Abschusssoll von nur 150 Stück und eine weitgehende, möglichst völlige Schonung der Alttiere vorsieht. Dies sind zwei wichtige Meilensteine auf einem Weg zu einem Miteinander von Wolf und Mensch in der HG Zauche.

(veröffentlicht in Unsere Jagd, 11/2014)