Naive, freche, gefährliche Wölfe?

Naive, freche, gefährliche Wölfe?

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03.03.2015

In Niedersachsen kochen die Wogen hoch. Und auch in Schleswig-Holstein, bisher nur Transitland für Wölfe, macht sich Unruhe breit. Hier eine Zusammenfassung der Ereignisse:

In der Region Diepholz-Vechta werden vom 02.November bis 10.Februar bei 19 Angriffen 41 Nutztiere getötet und 28 verletzt. Das Monitoring vermutet einen einzigen ortsfesten Wolf in dem Gebiet, kein Rudel. Aus dem Ministerium ist zu vernehmen, man habe noch „zu wenig belastbare Daten“ und wolle deshalb die DNA-Analysen vom Institut Senckenberg abwarten. Diepholz liegt in der sog. Förderkulisse, wo Präventionsmaßnahmen (z.B. Elektrozäune) aus Landesmitteln gefördert werden. Vechta liegt zunächst nicht in der Förderkulisse, deshalb gibt es dort keine Förderung. Erst durch den inzwischen erfolgten Nachweis eines Wolfs mittels DNA-Analyse wird Vechta ebenfalls in die Förderkulisse übernommen.

In der Ortschaft Goldenstedt (ebenfalls Region Diepholz) wird nachts um etwa 22:00 Uhr von einer Autofahrerin im Scheinwerferlicht auf ca. 100m Entfernung ein Tier gesehen, das sie für einen Wolf hält. Mehrere 100m entfernt davon befindet sich ein Waldkindergarten. Die räumliche Nähe Wolfsbeobachtung – Waldkindergarten befeuert eine heftige Diskussion in der Öffentlichkeit. Man zieht in Erwägung, 600m Maschendrahtzaun um den Kindergarten zu ziehen, 2m hoch, eventuell stromführend. Ein Wolfsberater des NABU erklärt, Kinder stünden nicht im Beutespektrum von Wölfen. Ein pensionierter Zoodirektor empfiehlt einen 80cm hohen Lappenzaun, d.h. eine Leine mit daran befestigten bunten Lappen, zur Abwehr des Wolfes. Der wird gebaut.

Hier ist der Wolf los.

Hier ist der Wolf los.

Staatssekretärin Almut Kottwitz (die Grünen) besucht den Ort. Sie verkündet, der Wolf breite sich „schneller aus, als wir gedacht haben,“ er werde sich bis Jahresende „in ganz Niedersachsen ausgebreitet haben.“

Bei Munster rückt eine Gruppe von sieben Wölfen einer Spaziergängerin, die zwei Hunde ausführt, auf wenige Meter Entfernung auf die Pelle. Es ist nicht der erste Fall, dass die Munsteraner Wölfe die Menschen nicht meiden, sondern geradezu deren Nähe suchen. Dem niedersächsischen Wolfsmonitoring ist das bisher jedoch nicht aufgefallen. Es bleibt einer Jagdzeitung (und Wolfsite) vorbehalten, die Fälle öffentlich bekannt zu machen.

In Neuhorst bei Mölln (Herzogtum Lauenburg, Schleswig-Holstein) greift am 21.Februar ein einzelner Wolf am helllichten Tag Schafe an und lässt sich dabei von Menschen nicht vertreiben. Das Land erklärt das Tier zum „verhaltensauffälligen Wolf“ und beauftragt den zuständigen Wolfsbetreuer, ihn mit Gummigeschossen zu vergrämen, notfalls auch zu erschießen. Der Wolfsbetreuer und Jäger Dirk Hadenfeldt erklärt umgehend, er stehe dafür nicht zur Verfügung.

In Wildeshausen (Kreis Oldenburg, Niedersachsen) läuft ein Wolf ungeniert am helllichten Tag durch den Ort. Später wird ein Wolf, vermutlich dasselbe Tier, nahe Großenkneten gesehen. Das Umweltministerium in Hannover folgt dem Beispiel von Schleswig-Holstein und erklärt den Wolf ebenfalls als „verhaltensauffällig“ mit der Option, ihn zu vergrämen, „notfalls“ zu erschießen.

Anzumerken bleibt: In keinem Fall wird von einem aggressiven Verhalten der Wölfe berichtet.

Lappenzaun

Lappenzaun als vorüber gehender Versuch, Schafe vor Wölfen zu schützen. Foto LUPUS

Lappenzaun als vorüber gehender Versuch, Schafe vor Wölfen zu schützen. Foto LUPU

Das „Einlappen“ von Wölfen ist eine traditionelle Jagdmethode. Dabei werden Wölfe bei Neuschnee eingekreist. Eine lange Leine, an der im Abstand von etwa 1m Stofflappen angehängt sind, wird um den Standort der Wölfe an Bäumen befestigt. Dann werden die Wölfe von Treibern aufgestört. Sie meiden die Lappen, laufen an dem Lappenzaun entlang und können von den richtig positionierten Schützen erlegt werden.

Beim Einlappen verlässt man sich auf den Überraschungseffekt. Wölfe, die einem solchen optischen Hindernis wiederholt begegnet sind, lassen sich davon aber nicht mehr schrecken. Manchmal gehen sie auch direkt „durch die Lappen.“ Die Methode ist also nicht zuverlässig. Ein Lappenzaun ist kein taugliches Mittel, um Wölfe daran zu hindern, bestimmte Örtlichkeiten oder Schafe oder Waldkindergärten zu meiden.

Verhaltensauffälliger Wolf

Alle Wolfsmanagementpläne enthalten eine Tabelle, in der das Verhalten Wölfen zwischen normal und auffällig detailliert beschrieben ist, einschließlich der Maßnahmen, die vom Wolfsmanagement ergriffen werden sollten, bis hin zur „Entnahme“ – das heißt Tötung. Im Vordergrund stehen Verhaltensweisen, an deren Entwicklungsende ein Wolf als gefährlich für Menschen eingestuft werden muss. Aber es gelten Wölfe auch dann als „auffällig“, wenn sie trotz anerkannter und ordnungsgemäß umgesetzter Schutzmaßnahmen immer wieder Nutztiere reißen.

Einer der habituierten Wölfe, die im Herbst 2005 in Saskatchewan, Kanada, einen Studenten töteten (Foto Chris van Galder)

Einer der habituierten Wölfe, die im Herbst 2005 in Saskatchewan, Kanada, einen Studenten töteten (Foto Chris van Galder)

Der Fall bei Mölln ist in dieser Tabelle allerdings nicht enthalten: Dieser Wolf ließ sich auch von energisch einschreitenden Menschen nicht davon abbringen, Schafe anzugreifen. Ein Verhalten, das bisher so gut wie unbekannt war.

Rissbegutachtung

Größere Huftiere (d.h. Rehe, Schafe, Ziegen und größere), die vom Wolf gerissen wurden, weisen meist typische Merkmale auf, so dass ein geschulter Gutachter den Wolf als Verursacher mit hoher Wahrscheinlichkeit dingfest machen kann. Für einen Schadensersatz akzeptieren die meisten Bundesländer, wenn ein anerkannter Rissgutachter den Wolf „als Verursacher nicht ausschließen“ kann. Eine DNA-Analyse wird nur in Ausnahmefällen gemacht, z.B. bei besonders wertvollen Nutztieren und strittiger Befundlage.

Petra Kaczensky untersucht ein vom Bären Bruno im Jahr 2006 geschlagenes Schaf. Heute wäre ein solches Vorgehen ein Verstoß gegen die Hygienevorschriften!

Petra Kaczensky untersucht ein vom Bären Bruno im Jahr 2006 geschlagenes Schaf. Heute wäre ein solches Vorgehen ein Verstoß gegen die Hygienevorschriften!

Eine überzeugende Rissbegutachtung erfordert in den meisten Fällen, dass der Gutachter das gerissene Tier gründlich untersucht, d.h. das Fell mindestens teilweise abzieht, um den wolfstypischen Kehlbiss festzustellen und ggf. zu vermessen. Die neueren Hygienevorschriften verbieten jedoch eine gründliche Untersuchung vor Ort. Das Tier muss komplett in einem entsprechenden Raum untersucht werden, und zwar vom Amtstierarzt. Diese Vorschriften erschweren eine rasche Begutachtung.