Mehrfacher Nachwuchs: Tendenz zum Riesenrudel?

Mehrfacher Nachwuchs: Tendenz zum Riesenrudel?

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07.02.2015

Eckhard Fuhr schreibt in seiner Kolumne von einem Rudel mit siebzehn Wölfen bei Altengrabow. Das wäre rekordverdächtig für unsere Verhältnisse. Aber die Zahl siebzehn ist kein Hirngespinst. Von Klaus Puffer, Förster und Wolfsberater am Truppenübungsplatz Altengrabow, bekam ich per e-mail eine Videosequenz, auf der sage und schreibe siebzehn eindeutig voneinander unterscheidbare Wölfe an der Kamera entlang spazieren. Wäre das eine Familie (und nichts anderes ist ein Rudel), dann müssten das zu den zwei Elterntieren nicht nur die sechs im Sommer 2014 bestätigten Welpen sein, sondern auch noch neun ältere Nachkommen – also nicht nur Jährlinge, sondern auch zwei- oder gar dreijährige Wölfe. Denn im Jahr 2013 sind nur acht Welpen bestätigt worden.

Das Rudel Altengrabow ist das produktivste, das wir in Deutschland kennen. Im Durchschnitt von sechs Jahren hat es pro Jahr sieben Welpen aufgezogen, gegenüber fünf im Bundesdurchschnitt. Durch ein besonders hohes Beuteangebot (hohe Dichten von Dam- und Rehwild) lässt sich das zwanglos erklären. Aber es erklärt nicht seine ungewöhnliche Größe. Denn große Rudel – unter groß verstehe ich bei Wölfen mehr als zwölf Tiere – gibt es dort, wo die Wölfe sich von großen Beutetieren ernähren, also von Elchen oder gar Bisons. Große Beutetiere machen viele Wölfe mehrere Tage satt – deshalb. Aber Damhirsche oder gar Rehe?

Ein "Ausschnitt" aus dem Daubaner Rudel, das im Jahr 2014mindestens 13 Welpen aufgezogen hat. Foto: andersfotografiert.

Ein „Ausschnitt“ aus dem Daubaner Rudel, das im Jahr 2014mindestens 13 Welpen aufgezogen hat. Foto: andersfotografiert.

Die Auswertung von genetischen Proben wird wahrscheinlich Licht in diese Geschichte bringen. Denn es könnte auch eine Mehrfachreproduktion dahinter stecken. Darunter versteht das seltene Ereignis, dass in ein und demselben Rudel zwei Fähen Nachwuchs aufziehen. Das hat man lange Zeit für ausgeschlossen gehalten, bis im Nationalpark Yellowstone wiederholt Mehrfachwürfe beobachtet wurden. Im Altengrabower Rudel deutet bisher nichts auf eine Mehrfachreproduktion hin. Aus Sachsen sind aber bereits drei Fälle bekannt – zweimal im Milkeler, einmal im Daubaner Rudel.

Der Ausfall des Rudelführers provoziert Mehrfachwürfe

Wie aber kommt es dazu, dass in ein und demselben Rudel zwei Fähen Junge aufziehen? Das hängt mit dem Schicksal des Rudelchefs zusammen.

In der Regel herrscht im Wolfsrudel Monogamie und es paaren sich nur die beiden Elterntiere. Zwischen den Geschwistern, aber auch zwischen Elterntieren und ihren geschlechtsreifen Nachkommen besteht eine Inzestsperre. Fällt der Vaterwolf aus, so übernimmt meist ein fremder Rüde das Rudel. Für diesen gilt keine Inzestsperre: Er paart sich ohne Hemmungen mit der Mutter ebenso wie mit einer ihrer Töchter. Die Unterdrückung der Paarungsbereitschaft junger Fähen durch die so genannte Alphawölfin (ein irreführender Begriff, der kaum mehr verwendet wird) ist in freier Natur offenbar viel weniger ausgeprägt, als man das lange Zeit auf Grund von Beobachtungen im Gehege annahm.

Zwar gilt es als gesichert, dass sich ein Paar, wenn es sich einmal gefunden hat, über viele Jahre, sogar über die ganze Lebenszeit „treu“ bleibt. Wölfe führen in der freien Natur jedoch ein gefahrvolles Leben, und der Ausfall eines Partners lange vor Erreichen des Höchstalters ist die Regel, nicht die Ausnahme. Deshalb kommt es relativ häufig zum Ersatz eines Partners, und damit ist die Chance für eine Mehrfachreproduktion gegeben. Im Nationalpark Yellowstone hat es in manchen Jahren in jedem vierten oder fünften Rudel Mehrfachpaarungen gegeben. Allerdings sind sie bisher nur in einer Richtung beobachtet worden, nämlich von neuen Rüden, nicht aber von neuen Fähen: Wird die Stammwölfin durch eine neue Fähe ersetzt, paart sich diese nur mit dem Leitwolf, nicht aber mit jüngeren Rüden desselben Rudels.

Für das Management einer Wolfspopulation, z.B. eine Bejagung, ergeben sich daraus bedenkenswerte Aspekte. Der Ausfall des Stammrüden kann Mehrfachreproduktion zur Folge haben – das heißt eine vorübergehend höhere Wolfsdichte im Territorium als vorher.

Literatur: Marc E. McNay 2014 Preliminary results of parentage analysis using microsatellite markers from an exploited wolf population in Central Alaska. Alaska Department of Fish and Game. Fairbanks. AK 99701.