Eckhard Fuhr: Deutungshoheit ist Machtgehabe

Eckhard Fuhr: Deutungshoheit ist Machtgehabe

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04.03.2015
In dem Beitrag von Klaus Bullerjahn hat mich ein Begriff hellhörig gemacht: Deutungshoheit. Wer um politische Macht kämpft, der kämpft um Deutungshoheit. Oder anders: Deutungshoheit ist die Währung politischer Macht. Wollen wir die Diskussion um den angemessenen Umgang mit den Wölfen wirklich zu einem Machtspiel machen? Keine Seite, weder die bedingungslosen Wolfsfreunde noch die Wolfsskeptiker oder gar die Wolfshasser, weder die Wildbiologen und sonstigen Experten noch die Beamten in den Naturschutzverwaltungen, niemand kann für sich beanspruchen, die „Wahrheit“ über die Wölfe in Mitteleuropa zu kennen. Niemand kann sicher vorhersagen, wie sich das Verhalten dieser Wölfe entwickeln wird.

Das liegt an einer einfachen Tatsache, die allzu oft vergessen wird. Für den Rückkehrer Wolf ist die Situation ebenso neu wie für die Menschen. Die Natur selbst veranstaltet mit der Rückkehr der großen Beutegreifer in die europäischen Kulturlandschaften ein gigantisches Freilandexperiment, dessen Ausgang noch niemand kennt. Im Vergleich zur Zeit der Ausrottung vor 150 Jahren haben sich die europäischen Gesellschaften und Naturräume radikal verändert – überwiegend zugunsten der Wölfe: Schalenwildbestände auf historischem Rekordniveau, ein weit verbreitetes wie auch immer romantisiertes „ökologisches“ Bewusstsein, weitgehende wirtschaftliche, soziale und politische Stabilität, strenge Schutzgesetze. Mit anderen Worten: Alles, was früher das Wolfsverhalten dem Menschen gegenüber bestimmte – harte Konkurrenz, Verfolgung, Mangel an Beutetieren – ist heute verschwunden. Was die Wölfe langfristig daraus machen, weiß niemand. Nur zwei Dinge weiß man: 1. Unser Umgang mit ihnen kann ihr Verhalten beeinflussen, wir können unerwünschtes Verhalten bekämpfen. 2. Nach dem ersten Wolfsangriff auf einen Menschen braucht man sich über „Deutungshoheit“ keine Gedanken mehr zu machen.

Was folgt daraus? Die Zeiten, in denen Wolfsberater und Wildbiologen Wolfsfragen unter sich ausmachten, sind vorbei. Die Öffentlichkeit nimmt leidenschaftlich Anteil an diesen Fragen. Das ist gut so. Es zwingt die Wolfsszene dazu, sich ehrlich zu machen. Das heißt: Zugeben, dass man allgemeingültige Wahrheiten über heutige Wölfe in Mitteleuropa nicht hat; das Monitoring ernst nehmen und wirklich jede Beobachtung, jedes Ereignis protokollieren und publizieren; rechtzeitig intervenieren, wenn Tiere Verhaltensweisen zeigen, die von der breiten Mehrheit der Gesellschaft nicht akzeptiert werden. Der Abschuss eines „Problemwolfes“ wäre kein „Dammbruch“, wie Bullerjahn meint, sondern eine Maßnahme wie sie in jedem Wolfsmanagementplan als letztes Mittel vorgesehen ist – nicht um niemals zur Anwendung zu kommen, sondern als eine Option, die man nicht skandalisieren darf.

Wir alle wollen, dass das Experiment Rückkehr der Wölfe gut ausgeht. Es sind bei diesem Versuch noch manche Unbekannte im Spiel. Deshalb sind Neugier, Realismus und nüchterne Entschlossenheit gefordert, nicht aber eifersüchtige Kämpfe um „Deutungshoheit“.