Dubioser „Wolfsangriff“ auf einen Jäger

Dubioser „Wolfsangriff“ auf einen Jäger

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04.04.2015

In der Karfreitagsnacht hat in der Göhrde (Niedersachsen) ein Wolf einen Jäger angegriffen. So jedenfalls schildert der Betroffene Ralf K. gegenüber der Deutschen Jagdzeitung den Vorfall: Bei Vollmond sitzt er auf Sauen an. Um Mitternacht steigt er von seinem Hochsitz ab. Das Gewehr lässt er zunächst oben. Mit dem Fernglas sucht er nochmal die Umgebung ab und bückt sich dann zu seinem Rucksack, den er am Boden abgestellt hat. In der rechten Tasche seines Lodenmantels hat er eine Pistole Kal. 7.65, die er für Fangschüsse immer mitführt. Ralf K. ist Jungjäger-Ausbilder, u.a. im Fach Jagdwaffen, und erfahrener Schütze.

Plötzlich hört er ein Atemgeräusch, ein lautes Hecheln. K. dreht sich um: Ein Wolf auf rund zehn Meter Entfernung hinter ihm im Feldgehölz!

„Er kam sofort auf mich zu! Aber nicht um an mir vorbeizulaufen, sondern um anzugreifen! Er war wie ein Schäferhund, der auf einen Beissarm losgeht“, beschreibt K. die Situation. Er zieht reflexartig seine Pistole aus dem Lodenmantel und gibt einen Warnschuss vor sich in den Boden ab. „Da war der Wolf weniger als drei Meter vor mir! Da hat man keine Zeit mehr zum Denken, man fühlt sich wie in einem leeren Raum“, schildert K. das Erlebnis.

Auf den Schuss dreht der Wolf ab und flüchtet hautnah am Jäger vorbei in die Dunkelheit. „Der war so nah wie ein Hund, wenn er bei Fuß geht“, betont der Jäger und Forstwirt. „Ich kann froh sein, dass ich noch hier stehe“, fügt er hinzu.

Er wählt den Notruf, doch wird ihm von der Polizei erklärt, dass sie nicht zuständig sei. Dennoch kommen Beamte später zum Ort des Geschehens.

Die Pressesprecherin des niedersächsischen Umweltministeriums betont, dass „dieser Vorfall sehr ernst genommen“ werde. Es seien Experten vor Ort, die Untersuchungen aufgenommen hätten und den Vorfall prüften. Über ein weiteres Vorgehen könne erst gesprochen werden, wenn nähere Erkenntnisse vorlägen. Inzwischen sind vier Wochen vergangen – aber das Ministerium hat sich immer noch nicht zu einer Stellungnahme durchgerungen. Es stellt sich heraus, dass ein anderer Jäger etwa eine halbe Stunde vor dem Ereignis den Wolf gesehen hat, als dieser in Richtung Ralf K. lief.

Das Geschehen hat nichts mit den Munsterwölfen zu tun, sondern hat sich im Raum Gartow zugetragen.

Protokoll des Geschehens, verfasst auf Grund eines Telefoninterviews von Ilka Reinhardt (LUPUS).

Protokoll des Geschehens, verfasst auf Grund eines Telefoninterviews von Ilka Reinhardt (LUPUS).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Offene Fragen

Was sich in der Karfreitagsnacht in der Göhrde genau abgespielt hat, wird sich wohl nie klären lassen. Zeugen für den Vorfall gibt es nicht. Es gibt nur die Aussage des Jägers Ralf K.. Ich glaube nicht an einen Wolfsangriff, und mich irritiert einiges am Verhalten von Ralf K..    

Folgt man seiner Schilderung, so soll ihn der Wolf in vollem Tempo und ohne Umschweife angegriffen haben. Aus vielen Filmdokumenten wissen wir heute, dass der typische Angriff eines Einzelwolfes auf größere Beutetiere ganz anders verläuft. Der Wolf beginnt mit einer vorsichtigen Annäherung. Er prüft sorgfältig, ob er sich auf einen finalen Angriff einlassen sollte. Schließlich rückt er näher, beißt mal zu – stets bereit, sofort zurück zu weichen, wenn sich sein Gegner als zu schwierig erweisen sollte. Einen Spurt von einem Einzelwolf „wie auf einen Beißarm“ kenne ich nicht aus den zahlreichen Filmdokumenten, die ich gesehen habe. Auch in der Recherche von Mark E. McNay, die ich für Wolfsite in der Rubrik „Hintergrund“ zusammenfassend wiedergegeben habe, findet sich kein einziger Fall, der mit dem von Ralf K. geschilderten vergleichbar wäre.

Man könnte an eine Verwechslung denken: Der Wolf dachte, ein Wildschwein vor sich zu haben. Der dunkel gekleidete, zu seinem Rucksack gebeugte Jäger – das könnte sein. Aber auch ein Wildschwein greift ein Wolf nicht in „gestrecktem Galopp“ an.

Was mich außerdem stutzig macht, ist die Art, wie der Schießausbilder und „erfahrene Sportschütze“ Ralf K. seine Kurzwaffe trägt: Lose in der Tasche des Lodenmantels. Er muss die Hand drauf halten, damit sie ihm nicht heraus rutscht. Ich kenne das, weil ich selber gelegentlich eine Pistole für Fangschüsse mitführe, die habe ich entweder im Rucksack verstaut oder in einem Holster hinten am Gürtel. Eine Pistole in der Manteltasche? Sehr merkwürdig. Ist das etwa auch die Erklärung, warum Ralf K. zunächst sein Jagdgewehr oben auf dem Hochsitz lässt, als er abbaumt? Hat er wegen der Pistole zu wenige Hände frei, um gefahrlos abzusteigen?

Das Umweltministerium hat umgehend verkündet, dass der Fall ernst genommen werde. Aber es hat schon wieder vier Wochen verstreichen lassen, ohne sich gründlich zu dem Fall zu äußern. Man warte „auf das Ergebnis der Untersuchung“ – ich bin gespannt, welche Erkenntnisse da mitgeteilt werden. Erneut versagt die Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Wolf, statt dessen machen sich Jagdmagazine in dem Vakuum breit und schüren die Gerüchteküche, übertrumpfen einander mit Mutmaßungen und Verdächtigungen – „nur“ zwei Seiten diesmal das JÄGER Magazin, etwa doppelt so viel die Deutsche Jagdzeitung.    

Ich bleibe dabei. Ein Wolfsangriff war das nicht. Ich glaube auch nicht an die „etwa 500 Anrufer“, die Ralf K. belästigt haben sollen, und habe auch den Shitstorm im Internet nicht gefunden, der über ihn hereingebrochen sein soll. All das schreibt das JÄGER Magazin.  uw