Der Wolf in der Hauptstadt. Von Eckhard Fuhr
16.02.2018
Leibhaftig wurde noch kein Wolf im Berliner Regierungsviertel gesehen. Trotzdem ist Canis lupus mit Beginn des Jahres endgültig im Zentrum der deutschen Politik angekommen. Während Union und SPD über ein Wolfskapitel in ihrem Koalitionsvertrag verhandelten, debattierte der Bundestag am 2. Februar über Anträge der FDP und der AfD, in denen die Übernahme des Wolfs ins Jagdrecht und seine jagdliche „Regulierung“ gefordert wurden. Grüne und Linke hatten Gegenanträge eingebracht, in denen sie dieses Ansinnen zurückwiesen und eine Verbesserung des Herdenschutzes und der wirtschaftlichen Lage der Schäfer fordern. Die Anträge wurden an den Umweltausschuss und nicht an den Landwirtschaftsausschuss überwiesen, was man als ein Signal dafür verstehen kann, dass die Mehrheit des Parlaments den Wolf dem Naturschutzrecht und nicht dem Jagdrecht zuordnet.
Leuten, die sich tagtäglich mit dem Wolf beschäftigen und in der einen oder anderen Weise in diesem Thema engagiert sind, mag die Bundestagsdebatte vorgekommen sein als ob da Blinde von der Farbe redeten. Wirklichen Tiefgang hatte keiner der Debattenbeiträge. Aber der Bundestag ist kein wildbiologisches Symposium. Und es ist gut, dass die politische Frage, wie mit dem zurückgekehrten großen Beutegreifer umzugehen sei, aus dem Dunstkreis der „Wolfsszene“ herausgekommen ist und ihren Platz auf der Bühne der nationalen Politik gefunden hat.
Mit ihrer Forderung nach regulärer Bejagung des Wolfes ernteten FDP und AfD Widerspruch bei allen anderen Fraktionen. Es ging den beiden Parteien offensichtlich darum, das emotionale Thema für sich öffentlichkeitswirksam zu nutzen und sich als Anwälte des besorgten Teils der Bevölkerung zu inszenieren, wobei sich die Liberalen in besonderer Weise für die Jagdrechtsinhaber und die Jagdausübungsberechtigten ins Zeug legen. Sie und nur sie sollen beim Wolfsmanagement im realen wie im übertragenen Sinne den Finger am Abzug haben. Alles andere sei ein Eingriff in Eigentumsrechte. Im Bundestag nutzte man dafür die moderate Formel, dass nichts dagegenspreche, beim Wolfsmanagement das „Netzwerk der Jäger“ zu nutzen. Das kann man allerdings auch ganz anders sehen.
Bei den Koalitionsverhandlungen schien man sich zunächst, wenn auch mühsam und unter fortdauerndem Streit um die Deutungshoheit, auf eine Linie geeinigt zu haben, die beim Umgang mit „Problemwölfen“ weitgehend den Grundsätzen folgt, von denen auch die just am 1. Februar mit ihrer Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt in Kraft getretene brandenburgische Wolfsverordnung getragen ist. Auffällige Wölfe sollen konsequent kontrolliert, zügig vergrämt und nötigenfalls geschossen werden. Auch Wölfe, die „empfohlene Herdenschutzmaßnahmen“ mehrfach überwinden, seien zu entnehmen. So jedenfalls fasste der SPD-Verhandlungsführer Olaf Lies (SPD), niedersächsischer Umweltminister, die Ergebnisse zusammen und betonte dabei, dass der Bund die Länder auch bei den Kosten für Prävention und Entschädigung und bei der Weiterentwicklung des Herdenschutzes unterstützen werde. Im Text des Koalitionsvertrages findet sich davon allerdings so gut wie nichts. Am Beginn des Absatzes steht ein allgemeines Bekenntnis zur Weidewirtschaft. Dann folgt die Aussage, die „Sicherheit des Menschen“ habe höchste Priorität. Das ist alles unstrittig. Im nächsten Satz allerdings springt die Katze aus dem Sack: „Wir werden die EU-Kommission auffordern, den Schutzstatus des Wolfs abhängig von seinem Erhaltungszustand zu überprüfen, um die notwendige Bestandsreduktion herbeiführen zu können“. Als wäre die Feststellung des günstigen Erhaltungszustandes ein Freifahrtschein für eine Bestandsreduktion – bei einer derzeitigen Wolfspopulation, die, wie immer man ihn berechnet, von diesem günstigen Erhaltungszustand noch weit entfernt ist. Wenn dann noch angekündigt wird, dass der Bund zusammen mit den Ländern wissenschaftliche Kriterien für eine letale Entnahme entwickeln wolle, klingt das wie eine Drohung. Denn es werden weder das Bundesamt für Naturschutz noch die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Wolf erwähnt. Der Koalitionsvertrag liest sich wie eine Kampfansage an die dort versammelte Kompetenz.
Die Bundeskoalitionäre haben die Chance vertan, die Wolfspolitik wirklich weiter zu entwickeln. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass Bauern- und Jagdlobby alles getan haben, die Union zu einer Blockade zu treiben und damit zu verhindern, dass der brandenburgische Weg die Richtung für eine Wolfspolitik auf Bundesebene vorgibt. Die brandenburgische Wolfsverordnung ist das Ergebnis eines hochkontroversen Diskussions- und Beratungsprozesses. Die im „Forum Natur“ zusammengeschlossenen Nutzerverbände wie Bauernbund, Bauernverband und Landesjagdverband versuchten, einen Paradigmenwechsel im Umgang mit dem Wolf durchzusetzen: Aufnahme ins Jagdrecht, reguläre Bejagung, Obergrenzen, wolfsfreie Zonen. Gegen dieses Ansinnen, den Wolf einfach den Jägern zu überlassen, standen in Brandenburg nicht nur die Naturschutzorganisationen NABU und BUND, sondern auch der ÖJV und der Landesschafzuchtverband. Auf Bundesebene fand sich parallel für ein aktives Wolfsmanagement ohne reguläre Jagd eine Verbändekoalition zusammen, die von den Berufsschäfern über NABU, WWF und ÖJV bis zum Tierschutzbund reichte. Wichtig daran ist, dass diese unterschiedlichen Akteure zwar die allgemeine Freigabe der Jagd auf den Wolf aus unterschiedlichen Gründen ablehnen, aber im Interesse der extensiven Weidewirtschaft die Tötung von Wölfen befürworten, die sich durch angemessene Herdenschutzmaßnahmen nicht von Übergriffen auf Nutztiere abhalten lassen. Es soll beim Herdenschutz keine endlose „Rüstungsspirale“ geben. Genau diesen Gedanken formulierten in Brandenburg der ÖJV und der Landesschafzuchtverband in einer gemeinsamen Stellungnahme zur geplanten Verordnung.
Die brandenburgische Verordnung gibt klare Verfahrensregeln vor. Entscheidend dabei ist, dass jede Maßnahme der Vergrämung oder Entnahme im Einzelfall von einer zentralen Landesbehörde, dem Landesamt für Umwelt, geprüft und angeordnet wird. Die unteren Naturschutzbehörden sind davon nun entlastet. Und es gibt keine pauschalen Ermächtigungen etwa für Jagdausübungsberechtigte. Wenn also die Bundesregierung mit den Ländern einen Kriterien- und Maßnahmenkatalog zum Herdenschutz vereinbaren will, dann könnte sie, wenn sie denn wollte, auf wichtige Vorarbeiten aus Brandenburg zurückgreifen.
Sie könnte auch ein Instrument stärken, das sie selbst geschaffen hat, die 2016 auf Wunsch der Länder eingerichtete Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Wolf (DBBW). Das Projekt ist bislang auf drei Jahre begrenzt. In der projektbegleitenden Arbeitsgruppe arbeitet auch der ÖJV mit. Bei deren letzter Sitzung im Dezember in Berlin wurde klar, dass sich die DBBW weiter entwickeln muss, wenn sie Bestand haben soll. Sie muss von einer überwiegend noch virtuellen zu einer realen Existenzform finden. Das könnte sie als wirkliches nationales Kompetenzzentrum, das sich insbesondere dem Herdenschutz widmet.
Die Wolfspolitik bietet zurzeit ein zwiespältiges Bild. Einerseits hat die Polarisierung eine extreme Schärfe erreicht, was vor allem dadurch bedingt ist, dass einige Landesjagdverbände und auch manche Sprecher der Bauernlobby sich aus der Arbeit an einem möglichst einvernehmlichen Wolfsmanagement verabschiedet haben und dieses nur noch denunzieren, so etwa der sächsische Landesjagdverband, der im Verbund mit einigen obskuren Vereinen das Wolfsmanagement in Sachsen für „gescheitert“ erklärt. Hatte nicht gerade er mit dem Sonderfall des Wolfes im sächsischen Jagdrecht eine besondere Verantwortung dafür? Sachsen ist ein Beispiel für die Unfähigkeit der traditionellen Jägerschaft, zu einem angemessenen Umgang mit dem Mitjäger Wolf zu finden.
Doch wir beobachten glücklicherweise nicht nur solche Rückkehr in die Bunker des Ressentiments. Es gibt vor allem auf der Seite des Natur- und Artenschutzes ebenso sehr die Bereitschaft, sich von illusionären und romantischen Trugbildern vom Wolf zu verabschieden. Vor allem verbreitet sich die Erkenntnis, dass der Zielkonflikt zwischen Wolfsschutz und Biodiversitätsschutz durch Weidewirtschaft nicht nur benannt, sondern auch bearbeitet werden muss, vorrangig durch Verbesserung des Herdenschutzes, im Notfall aber auch mit Pulver und Blei. Es gibt die Chance, den bröselnden politischen und gesellschaftlichen Konsens über die Rückkehr des Wolfes neu zu festigen durch gesetzeskonformes, konsequentes, schnelles und großzügiges staatliches Handeln. Feuchte Träume von „notwendiger Bestandsreduktion“ helfen dabei aber nicht.