Der schwedische Weg – eine Sackgasse?

Der schwedische Weg – eine Sackgasse?

11
Rentierwirtschaft und große Beutegreifer

Rentierwirtschaft und große Beutegreifer – das geht nur schwer zusammen. (Foto Wotschikowsky)

02.08.2014

Seit 1993 laden Mats und Karin Ericson in Valadalen, einem kleinen Gebirgsort in der geografischen Mitte Schwedens, jedes Jahr im März zu einem Wolfssymposium ein. Mit der Zeit hat sich diese Veranstaltung zu einem besonderen naturschutzpolitischen Ereignis gemausert. Hier erfährt man aus erster Hand, wie es steht und wohin es geht mit den Wölfen und den anderen großen Beutegreifern in Skandinavien.

Die Schweden haben es mit den Wölfen bei Weitem schwerer als wir in Deutschland. Das mag man kaum glauben. Das Land ist fast doppelt so groß wie unseres, beherbergt aber gerade mal ein Zehntel unserer Bevölkerungszahl, von der wiederum etwa 90 Prozent in den Städten lebt. Schweden nimmt einen Spitzenplatz in Sachen Wissensstand über und Forschung an seinen Beutegreifern ein, als da sind Wolf, Luchs, Bär, Vielfraß und Steinadler. Was also sind die Probleme?

Nummer 1: die Samen. Etwa 40 Prozent des Landes, fast die gesamte nördliche Hälfte, ist Rentierweideland. Rentierwirtschaft in Gegenwart von Großraubtieren ist schwierig; mit Wölfen ist sie so gut wie unmöglich. Rentiere beanspruchen riesige Wanderräume und lassen sich nicht einzäunen. Vor zwei Jahren berichtete eine Sprecherin der Samen, dass jedes Jahr etwa 70.000 Rentiere Opfer von Beutegreifern werden – 25 Prozent des gesamten Bestandes. Die Zahlen werden angezweifelt, nicht aber die Grundaussage: Die Verluste sind zu hoch, und Entschädigungen sind keine Lösung. „Wenn es noch zehn Jahre so weitergeht,“ sagte die Samin, „gibt es einfach nichts mehr zu entschädigen!“

Wölfe werden deshalb im Rentiergebiet nicht geduldet. Und damit sind wir beim Problem Nummer 2: Inzucht. Die Wolfspopulation geht ursprünglich auf nur zwei Elterntiere zurück, die im Jahr 1983 zusammenfanden. Der letzte wirklich schwedische Wolf war im Jahr 1965 geschossen worden, einzelne von Finnland einwandernde Tiere überlebten nicht – denn sie mussten durch das Rentiergebiet und wurden von den Samen sofort eliminiert. Mittlerweile sind mindestens vier weitere Wölfe aus Finnland zugewandert und haben die schwedische Wolfspopulation genetisch etwas aufgefrischt. Aber immer noch ist die genetische Substanz eng – zu eng, wie Genetiker übereinstimmend feststellen.

Wegen der Rentierwirtschaft in Nordschweden lassen sich die schwedischen Wölfe also kaum mit den finnisch-russischen zusammenkoppeln. Und Norwegen, nicht Mitglied der EU und daher nicht an deren Forderungen hinsichtlich Populationsstatus etc. gebunden, duldet nicht mehr als drei Rudel bzw. 30 Wölfe im Grenzgebiet zu Schweden. Norwegen ist in seiner Südhälfte voll von frei im Wald weidenden Schafen, in der Nordhälfte ist es ebenfalls Rentiergebiet.

Die schwedische Beutegreiferpolitik ist derzeit sehr auf die Wölfe fokussiert, doch auch die anderen Arten sorgen für Zündstoff. In keiner Region Europas ist die Gesamtdichte an großen Beutegreifern höher als in Mittelschweden.

Im letzten Jahr hat der schwedische Reichstag nun Grenzwerte für die fünf genannten Beutegreiferarten bestimmt. Ungewohnt daran ist: Diese Werte sind nicht Obergrenzen, die nicht überschritten, sondern Untergrenzen, die nicht unterschritten werden dürfen.
Was bedeutet dieses Zahlenwerk? Zunächst mal bedeutet es nicht, dass die Populationen auf den jeweiligen Mindestwert reduziert werden sollen. Es wird keine Jagd auf Steinadler geben!

Schweden will die Entscheidung über seine großen Beutegreifer auf die Ebene der Provinzen (die läns – vergleichbar mit unseren Bundesländern) bringen. Deshalb werden die genannten Mindestbestandszahlen auf die Provinzen verteilt. Wo es zu Problemen mit Großraubtieren kommt, wird über Lösungen und Maßnahmen an einem Runden Tisch verhandelt, dem alle Interessengruppen angehören. Die Provinz achtet darauf, dass die festgesetzten Mindestbestände der jeweiligen Großraubtiere auf Provinzebene nicht unterschritten werden.

Populationsgröße derzeit Unterer Grenzwert
Bär 3.300 1.100 – 1.400
Vielfraß 750 500 – 600
Luchs 1.650 700 – 1.000
Wolf 350 170 – 270
Steinadler (Paare) 209 150

Ob die EU mit diesem Verfahren einverstanden ist, wird sich erst noch zeigen. Da alle Arten – außer dem Wolf – Verbindung zu benachbarten Populationen haben, ist der geforderte günstige Erhaltungszustand wahrscheinlich nicht in Gefahr. Voraussetzung ist, dass das Management in den Nachbarländern Norwegen (nicht EU-Mitglied!) und Finnland nicht völlig andere Wege geht. Kaum vereinbar mit den Vorstellungen der EU sind allerdings die Zahlen für den Wolf. Denn 200 erwachsene Tiere, 30 davon in Norwegen, sind weit unter dem Wert, den die EU für eine weitgehend isolierte Population als Mindestwert anerkennt.

Bei dem Symposium in Valadalen wurde deutlich, dass die Standpunkte festgefahren sind. Der gegenwärtige Bestand der Wölfe (Stand Winter 2013/14) liegt bei insgesamt 350 Tieren. Die Jägerschaft will nicht mehr als 100 Wölfe im ganzen Land tolerieren. Die vom Schwedischen Reichstag vorgesehene Zahl 200 wird von den meisten Fachleuten und –institutionen als wissenschaftlich nicht untermauert abgelehnt.

Das Schlusswort in Valadalen hatte Henrik Ekman, ein allseits hoch angesehener Wissenschaftsjournalist. Er plädierte für einen pragmatischen Umgang mit dem Thema: Man solle es ein paar Jahre lang mit dem gegenwärtigen Bestand von 350 Wölfen probieren.